In der Literatur wird permanent betont, daß die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht außerordentlich hoch sind. Sie werden teilweise als illusionär und irreal bezeichnet. Es bestünde in der Rechtsprechung eine extreme Überspannung der Anwaltspflichten und es wäre der Boden des Verschuldensprinzips verlassen worden. Es würde nur noch eine verschuldensunabhängige Erfolgshaftung praktiziert (Lediglich ein Schaden muß beim Mandanten eingetreten sein).

Theorie: Nach der klassischen Lehre vom Erfolgsunrecht ist jedes Verhalten, das adäquat kausal ein absolutes Recht oder ein Rechtsgut verletzt, allein wegen dieses Verletzungserfolges als rechtswidrig einzustufen. Man sagt auch, die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes einer deliktsrechtlichen Norm indiziert die Rechtswidrigkeit, es sei denn, die Richtigkeit dieser Indikation kann durch besondere Rechtfertigungsgründe widerlegt werden. Die neuere Lehre vom Verhaltensunrecht sieht nicht allein im Verletzungserfolg die Rechtswidrigkeit indiziert; sie verlangt vielmehr einen Verstoß gegen Rechtsnormen, die ein Verhalten durch Gebote und Verbote normieren. Fehlt eine konkrete Verhaltensnorm, bedarf es des Rückgriffs auf die Generalklausel des § 276 I 2 BGB; demnach ist jedes Verhalten rechtswidrig, durch das gegen die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstoßen wird.“„Die neuere Lehre vom Handlungsunrecht weist Vorteile auf. Zunächst überzeugt ihre Aussage, gegen Gebote des Rechts verstoßen könne der Mensch nur in seinem „Handeln“. Ferner ist ihr zuzustimmen, wenn sie einwendet, es sei widersprüchlich, ein verkehrsrichtiges Verhalten als rechtswidrig zu bezeichnen.“„Wird unmittelbar in ein Recht, Rechtsgut oder rechtlich geschütztes Interesse eingegriffen, kann die Handlung allein wegen des Erfolges als rechtswidrig beurteilt werden. Es gilt die Lehre vom Erfolgsunrecht. Ihr Anwendungsbereich liegt insbesondere bei den Hauptfällen des § 823 I BGB.“

Die Wirklichkeit sieht auch hier anders aus. Weder wird, wie vorgeschrieben, vom Anwalt verlangt, substantiiert darzulegen, in welcher Form er seinen Aufklärungs- und Hinweispflichten genügt habe noch kommt oben genanntes Verschuldensprinzip zur Anwendung. Dem anspruchstellenden Mandanten wird vom Gericht eher suggeriert, er habe ein Verschulden nicht nachweisen können, obwohl er den erforderlichen Nachweis geführt hat.

Aber auch der Rechtssprechung bei Anwaltshaftungsfällen würde etwas fehlen, wenn sie kein Paradox anzubieten hätte. In nachfolgender OLG-Entscheidung wird mit einer Scheinargumentation (dagegen: s.o. Theorie: "Verstoß gegen verkehrsübliche Sorgfaltspflichten") auf den Vollkommer-Kommentar Rn 288 verwiesen, der zugleich die Pflichten des Rechtsanwalts wieder völlig verklärt. Das setzt sich fort in Rn 289 ("Der "sicherste" Weg ist nicht immer ..."), wo dem Anwalt erlaubt wird, Wege zu beschreiten, die rechtlich nicht abgesichert oder sogar nicht einmal haltbar sind. In Rn 290, 291 wird diese Entscheidung des BGH vom Kommentator zwar fallbezogen (RA hoffte auf Erfüllung und damit Heilung eines rechtsunwirksamen Vertrages; § 518/2 BGB) und allgemein relativiert, aber die Gerichte haben damit, wie man nachfolgend sieht, ein Allheilmittel für alle Fälle zur Verfügung.

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