Report Mainz vom 6. Oktober 2003

Bankenlobby im Hause Eichel:
Wie im Finanzministerium Banker an Gesetzen mitschreiben

Bankenlobby im Hause Eichel: Wie im Finanzministerium Banker an Gesetzen mitschreiben

Moderation Fritz Frey:

Wie werden eigentlich Gesetze gemacht? Bisher dachte ich, da sitzen Experten in den Ministerien, gut bezahlt von unseren Steuergeldern, und bringen was zu Papier, was künftig geregelt werden soll. Und wenn alles gut geht, wird ein Gesetz daraus.

So dachte ich, aber jetzt hat mein Kollege Gottlob Schober schon zum zweiten Mal einen Fall aufgedeckt, der mich zweifeln lässt. Seine Recherche dieses Mal: Das Finanzministerium lässt hochkarätige Banker an Gesetzesentwürfen mitschreiben. Und besonders pikant: Die werden nicht etwa vom Finanzministerium bezahlt, sondern weiter von den Banken. So wird Lobbyarbeit auf die Spitze getrieben. Unser Film jedoch beginnt mit einem Absturz.

Bericht:

Es war der wohl bekannteste Aktien-Crash der deutschen Börsen Geschichte, der Absturz der Telekom-Aktie. Ron Sommer und andere vermeintliche Börsenstars machten aus Deutschen ein Volk von Aktionären. Sie versprachen, alle reicher zu machen, nun – sie machten fast alle ärmer.

Es gibt aber Menschen, die am Aktien-Crash verdient haben. Denn auch wenn die Kurse fallen, können Spekulanten an der Börse reich werden. Das Zauberwort heißt „Hedge- Fonds“. Dieses komplizierte Finanzprodukt setzt auf sinkende Kurse. Der Experte sagt:

O-Ton, Prof. Wolfgang Filc, Universität Trier:

O-Ton, Prof. Wolfgang Filc, Universität Trier:

»Hedge-Fonds zählen zur Kategorie des Glücksspiels.«

Ein Glücksspiel, bei dem vor allem die Banken gewinnen können. Deshalb drängt deren Lobby seit langem darauf, diese hochriskante Investmentmöglichkeit in Deutschland zuzulassen. Bislang waren Hedge-Fonds nur im Ausland erlaubt.

Professor Wolfgang Filc von der Universität Trier hält die bislang in Deutschland angewendeten Restriktionen für richtig. Denn Hedge-Fonds sind hochspekulativ, Totalverluste für Anleger möglich.
Von Hedge-Fonds profitieren also weniger die Anleger, sondern mehr die Banken.

O-Ton, Prof. Wolfgang Filc, Universität Trier:

»Das Interesse der Banken ergibt sich daraus, dass Hedge-Fonds besonders häufig ihre Positionen neu ordnen. Das heißt, es werden häufig Umschichtungen in Portfolios vorgenommen, und bei jeder Umschichtung sind hohe Kommissionserträge die Folge. Die Kommissionserträge werden bezahlt von den Anlegern.«

Frage: Das heißt also, die Banken verdienen Milliarden?

O-Ton, Prof. Wolfgang Filc, Universität Trier:

»Die Banken verdienen Milliarden.«

Kein Wunder, dass Banken, wie die Dresdner, auch den Kleinanlegern neugierig auf Hedge-Fonds machen wollen. Obwohl diese Anlageart in Deutschland so noch gar nicht zugelassen ist, tauchte der Name aber immer wieder in Werbespots auf.

O-Ton, Werbespot:

»Was ist eigentlich ein Hedge-Fonds?«

Die Milliardeninteressen der Banken haben jetzt wohl auch in Berlin durchgesetzt. Finanzminister Hans Eichel will Hedge-Fonds erstmals in Deutschland zulassen. Trotz des hohen Risikos - obwohl sie Kleinanlegern Totalverluste bescheren können. In seinem Ministerium wurde jetzt ein Gesetzentwurf erarbeitet, der im Wesentlichen den Wünschen der Branche entspricht. Professor Filc warnt:

O-Ton, Prof. Wolfgang Filc, Universität Trier:

»Die Konsequenz besteht darin, dass wenn diese Hedge-Fonds in finanzielle Not geraten, wenn sie insolvent werden, kann es zur Folge haben, dass das gesamte Bankensystem, das Finanzsystem überhaupt, infiziert wird. Und das bleibt dann eben nicht im Bereich der Finanzmärkte stecken, sondern kann überschlagen auf Arbeitsmärkte, auf Unternehmen, kann führen zu Insolvenzen, zur Arbeitslosigkeit.«

Wie also ist dieser Gesetzentwurf, der nach der Expertenmeinung große Risiken in sich birgt, zustande gekommen? REPORT-Recherchen haben ergeben, dass die Investment-Branche an diesem Gesetzentwurf selbst mitgeschrieben hat – unter der gütigen Aufsicht des Finanzministeriums. So durfte eine Top-Juristin des Investment-Bundesverbands bei der Gesetzesformulierung tatkräftig mithelfen.

Das konnten wir zunächst nicht glauben. Deshalb besuchen wir den Bundesverband Investment und Asset Management, kurz BVI, in Frankfurt. Die Juristin ist für uns leider nicht zu sprechen. Ihr Chef, Stefan Seip, aber bestätigt den von REPORT recherchierten Sachverhalt.

Frage: Also Ihre Mitarbeiterin wurde ins BMF abgeordnet, hatte im Finanzministerium in Berlin eigenes Büro, das Gehalt von ihr wurde aber von Ihnen weiter bezahlt?

O-Ton, Stefan Seip, Bundesverband Investment und Asset Management e. V.:

O-Ton, Stefan Seip, Bundesverband Investment und Asset Management e. V.:

»Das ist richtig. Wir haben das Gehalt weiterhin bezahlt. Die Mitarbeiterin hatte ein Büro im zuständigen Apparat in Berlin.«

Frage: Also die Interessen des BVI sind letztendlich auch mit eingeflossen?

O-Ton, Stefan Seip, Bundesverband Investment und Asset Management e. V:

»Insoweit, dass wir ein Know-how dort eingebracht haben, Ressourcen eingebracht haben. Aber wir haben nicht konkret Einfluss genommen auf den Inhalt des Gesetztes. Natürlich hat die Mitarbeiterin das getan.«

Ein Eingeständnis. Die Mitarbeiterin des Bundesverbands hat bei der Erstellung dieses Gesetzentwurfes nicht nur mitgewirkt, sondern dieselbe Mitarbeiterin wurde auch noch von der Fonds-Branche bezahlt. Experten sehen darin eine neue Dimension der Einflussnahme, also des Lobbyismus.

O-Ton, Heiner Flassbeck, ehem. Staatssekretär Bundesfinanzministerium:

O-Ton, Heiner Flassbeck, ehem. Staatssekretär Bundesfinanzministerium:

»Das ist dann in der Tat ein Skandal. Denn es muss das Ministerium in der Lage sein, seine hoheitlichen Aufgaben zu erfüllen. Und wenn es dazu nicht die Mittel hat, wenn es sich selbst oder andere es so stark runtergekürzt haben, und die Möglichkeiten zunichte gemacht haben, hochqualifizierte Beamte zu rekrutieren, dann muss man dieses System ändern. Dann müsste der Finanzminister, dann müsste die Politik an die Öffentlichkeit gehen und sagen: Wir sind nicht mehr in der Lage, unsere Aufgaben zu erfüllen, und nicht klammheimlich Leute von außen als Experten in das Ministerium holen.«

O-Ton, Prof. Wolfgang Gerke, Bankenexperte, Universität Erlangen-Nürnberg:

O-Ton, Prof. Wolfgang Gerke, Bankenexperte, Universität Erlangen-Nürnberg:

»Probleme entstehen dann, wenn ich in meinem Herzen zwei Herren dienen muss. Einmal dem Souverän, dem Staat, dem Bürger und auf der anderen Seite meinem Arbeitgeber, zu dem ich zurückkehre. Und es gibt kaum den Mitarbeiter, der sich so teilen kann, dass er sagt, ich berücksichtige nur die Interessen jetzt des Finanzministeriums.«

O-Ton, Dietrich Austermann, CDU, haushaltspolitischer Sprecher:

O-Ton, Dietrich Austermann, CDU, haushaltspolitischer Sprecher:

»Das ist so, als wenn sie den Vorsitzenden des Ferrari-Fan-Klubs zum Berater der Autobahnpolizei machen. Aber natürlich haben Banken ein Geschäftsinteresse in eine bestimmte Richtung. Das kann abweichen vom Kundeninteresse, das kann abweichen vom Bürgerinteresse. Und jetzt das Geschäftsinteresse, Einzelne ins Gesetzgebungsverfahren einzuschleusen, das ist Lobbyismus, den man Parteien nicht nachsehen würde.«

Mit den Banken, für die Banken? Die umstrittene Kompetenzbeschaffung à la Eichel. Wir sind wieder in Frankfurt. REPORT Recherchen haben ergeben, auch ein vom Bundesverband deutscher Banken abgeordneter Mitarbeiter der Dresdner Bank und ein Jurist der Deutschen Börse AG arbeiten an Gesetzesvorhaben, die für die Finanzbranche von größer Bedeutung sind.

Damit diese Bankexperten auch effektiv arbeiten können, stellt ihnen das Finanzministerium vertrauliche Informationen zur Verfügung. Informationen, nach denen jede Bankenlobby giert. Hier werden sie möglicherweise frei Haus geliefert.

Weder Hans Eichel noch ein Sprecher waren zu einem Interview vor der Kamera bereit. In einer schriftlichen Stellungnahme sieht das Finanzministerium in der gewählten Praxis aber keine Probleme. Im Gegenteil.

Zitat:

»Soweit diese Mitarbeiter im Rahmen ihrer Tätigkeit im Ministerium Zugang zu vertraulichen Informationen erhalten, ist deren Vertraulichkeit gewährleistet.«

Eine weitere Begründung gibt es nicht. Fakt aber ist; Hans Eichel lässt Mitarbeiter von Banken und aus der Investmentbranche an der Vorbereitung von Gesetzentwürfen mitwirken, die deren Arbeitgebern dann direkt zugute kommen können. Die Bankenlobby arbeitet demnach schon in der Regierung mit.

Abmoderation Fritz Frey:

Soviel für heute von REPORT Mainz, aber bleiben Sie jetzt hier im Ersten, von ihn hier gibt’s jetzt noch was auf die Ohren. Freuen wir uns auf die Legende Max Schmeling, der - hätten Sie es gewusst? - erst vor wenigen Tagen 98 Jahre alt wurde. Wir sehen uns wieder in drei Wochen, wenn Sie mögen. Tschüss.


Moderation:
Fritz Frey
Bericht:
Gottlob Schober
Kamera:
Jasper Marquardt,
Yves Matthey,
Thomas Schäfer
Schnitt:
Holger Höbermann
 

SWR