Betreff: Der Umsturzhelfer
PIEGEL ONLINE - 21. November 2005, 12:05
URL:
<http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,386006,00.html>
Robert Helvey
Der Umsturzhelfer
Von Georg Mascolo, Washington
Helvey führt seine Kriege ohne Panzer und Kanonen. Die Armeen
des Oberst
a.D. sind friedliche Demonstranten in Belgrad, Baku und Kiew - Mädchen
in der ersten Reihe, ältere Damen als Kuriere. Der Experte für
Revolutionen weiß, worauf es beim Sturz eines Regimes ankommt:
Disziplin
und minutiöse Planung.
"Kommen Sie bloß nicht im Anzug", blafft Robert Helvey
ins Telefon,
"mein Hund haart wahnsinnig." Am Provinzflughafen von
Charleston, West
Virginia, lehnt der 66-Jährige lässig an der Wand der
Ankunftshalle.
Sandy wartet im Pick-up-Truck, Pfoten auf dem Polster, die
Schnauze
gegen die Scheibe gedrückt. Ein kurzer fester Händedruck, ein
knappes
Nicken des Kopfes auf dem eine Baseballkappe mit dem Emblem des
amerikanischen Veteranenverbandes sitzt.
Robert Helvey, Oberst a.D. und heute weltweit begehrter
Consultant für
gewaltlosen Widerstand, setzt den Dodge Dakota mit Schwung rückwärts
aus
der Parklücke. Sein Haus liegt oben in den Hügeln von
Charleston,
amerikanische Mittelklasse, die Mauer aus Bruchsteinen hat er
selbst
gesetzt. Im Garten tummeln sich morgens die Hirsche, neulich
tollte dort
ein Schwarzbär herum. Ein Idyll. "Aber er ist doch viel zu
selten hier",
klagt seine Frau Maurene, eine britische Krankenschwester.
Stiftungen engagieren Helvey für Schulungen auf dem Balkan, in
Afrika,
in Südamerika. Demnächst geht es nach Algerien. Mit den
Otpor-Studenten,
die heute das "Center for Analysis and Non-Violent Action
and Strategy"
betreiben, steht er noch immer in Verbindung. "Ich helfe
ihnen ein
bisschen."
66 und kein bisschen leise
Für seine Gegner ist der Colonel a.D. der lebende Beweis, dass
Amerikas
Geheimdienste bei den Umstürzen die Regie führen, dass es das
von dem
Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh beschriebene Programm
"Track 2,
wirklich gibt". Geben Sie mal meinen Namen bei Google
ein", amüsiert
sich Helvey und plumpst in einen Gartenstuhl auf seiner Veranda.
"Von
hier aus wird die Demokratiebewegung in ganz Osteuropa
kontrolliert."
Und dann erzählt er, eine Dose Milwaukee-Pilsener und eine Tüte
Salzbrezeln vor sich, seine Version der Geschichte.
Als junger Freiwilliger meldete er sich für den Vietnam-Krieg,
es war
die erste seiner drei Dienstzeiten im blutigen Dschungelkrieg. Es
folgte
die Ausbildung am War College, Dienst im Stab des Pentagon,
schließlich
Kommandeur einer Kompanie GIs in Westdeutschland. Eine
amerikanische
Soldatenkarriere, hochdekoriert mit drei Silver Stars. In den
achtziger
Jahren wurde er zum Militärgeheimdienst DIA versetzt und als
Attaché
nach Burma, das heutige Myanmar geschickt. Helvey knüpfte
Kontakte zur
glücklos agierenden Oppositionsbewegung, die sich Scharmützel
mit den
Truppen der Militärjunta lieferte. Viel tun konnte der US-Oberst
nicht,
Amerika hatte kein großes Interesse an dem Konflikt. Helvey fühlte
sich
hilflos. "Das waren tolle Burschen, ich hätte ihnen
wirklich gern
geholfen."
Oh Boy, da hat es bei mir geklingelt
Zurück in den USA schickte ihn die Armee nach Harvard, Helvey
sollte die
Kunst der Internationalen Beziehungen pauken - Helvey war
auserkoren die
Attaché-Schule des Geheimdienstes zu übernehmen. So saß er,
ziemlich
gelangweilt, eines Tages im Hörsaal als ein gewisser Gene Sharp
über die
Methode des gewaltlosen Umsturzes referierte. "Ich wollte hören,
was
sich diese Friedensengel und Unruhestifter wieder ausgedacht
hatten.
Aber dieser Bursche war unglaublich, oh Boy, da hat es bei mir
geklingelt."
Gene Sharp hat mein Leben verändert, bekennt Helvey. "Er
hat mir klar
gemacht, dass es in diesem Kampf genauso um politische Macht geht
wie
auf dem Schlachtfeld, nur um einen anderen Weg: Krieg ohne
Waffen."
Sharp, seit 40 Jahren einer der Vordenker des nicht-militärischen
Umsturzes, profunder Kenner des zivilen Widerstandes von Gandhi
bis
Martin Luther King, Autor eines in 30 Sprachen übersetzen
Standardwerkes
("Von der Diktatur zur Demokratie") hatte in dem
Berufsmilitär einen
neuen Verbündeten gefunden. "Wenn du siehst wie deine
Freunde sterben,
denkst du schon darüber nach, ob es noch einen anderen Weg
gibt,"
bekennt der alte Soldat. Statt im Hörsaal hockte er mit Sharp in
dessen
Büro im Albert-Einstein-Institut in Boston, einem Think-Tank für
den
gewaltlosen Widerstand. Der bedächtige Intellektuelle und der
bullige
Oberst beschlossen gemeinsam zu versuchen, die Welt ein kleines
bisschen
zu verändern.
Geheimtreffen nahe der thailändischen Grenze
In seinem Arbeitszimmer, von dem aus Helvey nächtelang mit
verschlüsselten E-Mails Oppositionelle mit Ratschlägen
versorgt, hängt
ein schon verblichenes Foto. Helvey und Gene Sharp ducken sich
nebeneinander in einem Schlauchboot, der Außenborder hinterlässt
breite
weiße Gischtspuren in dem dunklen Wasser. Damals ging es zu
einem
Geheimtreffen mit den alten Freunden aus Burma, irgendwo nahe der
thailändischen Grenze. Im Dschungel gab Helvey seine erste
Schulung,
Umsturz für Anfänger, bis der thailändische Geheimdienst das
Lager
aushob. Später kamen die Revoluzzer zur Ausbildung nach Amerika.
Das
Regime in Myanmar hat ihm das bis heute nicht vergessen: Auf den
Kopf
des "CIA-Agenten Helvey" ist noch immer eine Belohnung
ausgesetzt.
Myanmar wird noch heute von brutalen Militärmachthabern regiert,
aber
trotz des Fehlschlags dieser ersten Aktion beschloss der
inzwischen
pensionierte Helvey Gene Sharps Theorien in die Praxis
umzusetzen. Im
Herbst 2000 meldete sich das Republican Institute und bat den
Oberst um
einen eiligen Einsatz auf dem Balkan. Otpor brauchte Hilfe. Sie
waren
schon weit gekommen, Milosevic fühlte sich herausgefordert, aber
die
Bewegung drohte Schwung zu verlieren. "Sie waren auf der
Suche nach
einer Idee, wie es weitergeht", sagt Helvey, "ich
glaube ich habe ihnen
ein bisschen helfen können." In einem Hotel in Budapest hämmerte
er den
jungen Serben 17 Stunden seine Theorien für einen gewaltlosen
Umsturz
ein. "Ich habe ihnen gesagt, ich bin kein gottverdammter
Pazifist und
werde es auch nicht mehr werden," erinnert sich Helvey und
krault Sandy
zärtlich im Nacken. "Es geht darum die Macht der Regierung
zu
untergraben, ihre Schwächen zu finden und gnadenlos auszunutzen.
Ich
habe ihnen beigebracht, einen ordentlichen Kriegsplan zu
entwerfen. Ich
führe den Krieg nicht für euch, aber ich zeige euch, wie ihr
ihn
gewinnen könnt."
Der Umsturz beginnt beim Abendessen in der Familie
Was also ist das Geheimnis einer erfolgreichen Revolution à la
Sharp/Helvey? Der Oberst kneift die Augen zusammen, als wolle er
den
nächsten Diktator ins Visier nehmen. "Die größte Schwäche
der Opposition
ist ihr Mangel an solider Planung. Macht gibt es nicht nur ganz
oben in
einem Staat, jeder Polizist, Soldat, Bürokrat und Bauer hat
ebenfalls
welche. Die muss ich zu Zweiflern und dann im letzten Schritt zu
Verbündeten machen." Ein erfolgreicher Umsturz, doziert
Helvey, beginne
beim Abendessen der Familie. "Die Töchter und Söhne des örtlichen
Polizeichefs, oder des Kommandierenden der Kaserne um die Ecke,
sind
ungeheuer wichtig. Sie bringen die neuen Ideen in die Familie,
das
Nachdenken beginnt und im entscheidenden Moment werden ihre Väter
nicht
das Bild einer Horde abgefeimter Staatsfeinde, sondern ihrer
eigenen
Kinder vor Augen haben." "All die jungen Dinger in der
ersten Reihe, das
ist doch kein Zufal"
Riesige Demonstrationen sind ein Kernstück in Helveys Kalkül,
"sie
beweisen den Menschen, dass jemand mächtiger ist, als ihre
eigene
Regierung". "Meine Streitkräfte", nennt Helvey
die Protestierer, "ich
hätte nie gedacht, dass die Hälfte von ihnen mal Frauen sein
werden.
Schauen Sie sich doch mal die Bilder der großen Demonstrationen
an, all
die jungen Dinger in der ersten Reihe, die mit den Soldaten
flirten und
die Emotionen abkühlen. Das ist doch kein Zufall, das ist
Strategie."
Für ältere Damen gibt es in Helveys Kriegsplan auch eine
Aufgabe - als
Kuriere. "Die Wahrscheinlichkeit, dass sie angehalten und
gefilzt
werden, ist geringer." Es klingt als plaudere er bei einem
Drink im
Offizierscasino, erschöpft von einem harten Tag mit den neuen
Rekruten.
Ein Aufmarsch in Belgrad, Baku, oder Kiew ist für den Ex-Militär
nichts
anderes als eine Kompanie GIs auf dem Kasernenhof zu schleifen.
Disziplin und minutiöse Planung sind doch gleich, sagt Helvey
und
lächelt. "Meine Aufgabe hat sich nicht sonderlich verändert."
Wie Fahnen flattern bei seinen Aufmärschen die Banner mit den
Losungen
der Opposition. "Das gibt tolle Bilder fürs Fernsehen und
verstellt den
hinteren Reihen den Blick auf den furchterregenden Aufmarsch der
Staatsmacht." Parolen und Lieder erfüllen den gleichen
Zweck: "Wer
schreit hört nicht, wenn die Soldaten mit den Gummiknüppeln auf
ihre
Schilder trommeln, oder Bajonette aufpflanzen."
"Ich bringe ihnen bei gegen den natürlichen Reflex der
Angst
anzukämpfen, etwas, was auch jeder Soldat lernt", doziert
Helvey. "Der
normale Reflex ist wegzulaufen, ich aber will 500.000 Menschen
auf dem
Platz halten. Das geht nur mit Disziplin und Planung." Für
Zivilisten,
sagt Helvey, haben sie sich in Kiew, Belgrad und Danzig gut
gehalten.
"Aber Martin Luther King war auch kein Soldat."
Gewalttätig dürfen nur die anderen werden
Direkt aus dem Army-Handbuch stammt die Anweisung, dass jeder vom
Geheimdienst verhaftete einen detaillierten Bericht über seine
Erfahrungen abliefern muss: "Wurde er in den Wagen gesetzt,
oder
geschmissen, wie wurde er geschlagen, was wurde gefragt, gab es
zu
essen? Jeder muss so viel wie möglich über den Gegner wissen,
das
reduziert die Überraschung, das Unerwartete, wenn man selbst
geschnappt
wird. Und was ich nicht kenne, macht mir Angst." Kein
Alkohol, keine
Drogen, keine Waffen und am Ende der Demonstration gehen alle
friedlich
nach Hause. "Gewalttätig dürfen nur die anderen werden,
wenn wir
prügeln, verlieren wir die Legitimation und die Unterstützung
des
Auslandes." Schritt für Schritt vorgehen, bläut Helvey
seinen
Demokratie-Rekruten ein, nie das Regime endgültig herausfordern,
bevor
dessen Machtstrukturen nicht untergraben sind. Gene Sharp hat das
Massaker am Tienanmen-Platz in Peking miterlebt, als das Politbüro
die
Demonstranten niedermachen ließ. "Die chinesischen
Studenten haben einen
Fehler gemacht", sagt Helvey. "Sie hatten schon so viel
erreicht, es war
Zeit erst einmal nach Hause zu gehen." Die Sonne senkt sich
malerisch im
Tal, Helvey räkelt sich in seinem Gartenstuhl. "Ist doch
alles ziemlich
simpel, oder?", freut er sich und grinst. "Man muss
kein Wissenschaftler
sein, um das herauszufinden."
"Dann hat Bush dieses Desaster angerichtet"
Helvey hat ein Buch über seine Methode geschrieben, schmale 178
Seiten.
Keine hochfliegenden Gedanken über das Wesen der Demokratie,
kein Plato,
Hegel, oder Roosevelt, sondern seitenweise praktische Tipps für
den
Staatsstreich von unten. Gerade wird es in Farsi und Russisch übersetzt.
Gattin Maurene bittet zu Tisch, sie hat Lasagne gemacht. Helvey
ist
hungrig. Aber was bitte hat es nun mit all den Vorwürfen auf
sich, dass
er solche Umstürze im Auftrag der CIA vorbereitet? Liegt das,
bei seiner
Biografie nicht nahe? "Die Menschen lieben Verschwörungstheorien",
sagt
Helvey und schaut ein bisschen traurig drein. "Ich mag diese
Regierung
nicht. Vor zwei Jahren habe ich irakische Oppositionelle
geschult, das
waren kluge Leute. Vielleicht hätte es noch zehn Jahre gedauert.
Stattdessen hat Bush dieses verdammte Desaster angerichtet. Jetzt
verspricht er nie wieder Freiheit gegen Stabilität einzutauschen
und
dass wir nie wieder mit den Falschen gemeinsame Sache
machen." Helvey
springt mit einem Ruck vom Gartentisch auf, er lächelt böse.
"Na gut,
wann greifen wir dann endlich Saudi-Arabien an."