In der letzten Zeit liefen im Fernsehen 3 Beiträge zum Thema Pflicht zur Arbeitssuche des Ehe- (Lebens-)partners eines ALG II-Empfängers, obwohl dieser Arbeit habe.

Im ersten Fall (frontal 21, ZDF, 10.10.06) ist in Sachsen ein Mann ALG II-Empfänger (55 Jahre). Seine Frau, die trotz Schwerbehinderung schon langjährig im gleichen Unternehmen beschäftigt ist und dies von der Unternehmensleitung auch für die Zukunft bestätigt wurde, erhielt einen Brief der Arbeitsagentur mit dem Hinweis, sie sei als arbeitssuchend gemeldet und solle sich einen neuen Job suchen. Die Arbeitsagentur teilte aufgrund Nachfrage mit, dies sei gesetzlich so vorgesehen und rechtens. Trotzdem ihr Mann zwischenzeitlich eine Arbeit gefunden hatte, ist der Frau ein Job bei einem Zulieferer ihrer jetzigen Firma angeboten worden. Die Unternehmensleitung der jetzigen Firma teilte mit, daß die Frau dort nach spätestens 2 - 3 Wochen arbeitslos geworden wäre.

Im zweiten Fall (escher, MDR, 12.10.06) ist ein Mann als Teamleiter im Wareneingang eines Computerherstellers beschäftigt und die Unternehmensleitung kündigte an, ihn unbefristet weiter zu beschäftigen. Er erhielt von der Arbeitsagentur ein Schreiben, in dem ihm eine Arbeit im Lager eines Schuhhändlers angeboten wurde. Sein Einkommen reiche nicht für alle, da seine Lebenspartnerin mit Kleinkind aufgrund Babyjahr nicht beschäftigt sei. Der potentielle neue Arbeitgeber hatte jedoch auch keinen höheren Verdienst, allerdings Festanstellung, zu bieten. Herr Wehnert von der Arbeitsagentur Chemnitz meint, es bestünde keine Verpflichtung zur Annahme des neuen Jobs, weil keine Einkommensverbesserung eintreten würde. Es kommt im Gespräch durch, daß die Frau nur noch ein halbes Jahr Erziehungsgeld bekommen hätte und wahrscheinlich deshalb die Agentur an einer Festanstellung des Mannes interessiert war, weil sonst beide bedürftig gewesen wären. Eine Vertreterin der Diakonie Mitteldeutschland meinte, das Verhalten der Agentur sei formal aber richtig. Die Bugsierung einer Person auf einen Hilfsjob wegen einer geringen Einkommenssteigerung wurde von ihr hintergründig als nicht menschlich benannt.

Im dritten Fall (frontal 21, ZDF, 14.11.06) arbeitet eine gelernte Fachverkäuferin (ca. 40 Jahre alt) in einem 25-Stunden-Job seit 18 Jahren in Festanstellung bei 900 €. Ihr Mann ist ALG II-Empfänger geworden. Von der pfälzischen Arbeitsagentur ist die Frau als arbeitssuchend eingestuft worden und sie müsse sich wegen ihres geringen Einkommens eine andere Arbeit suchen.
In vierten Fall ist eine gelernte Drogistin (ca. 45 Jahre alt) in Wiesbaden als Haushaltshilfe bei einer Reinigungsfirma untergekommen, bei 20 Stunden die Woche. Es ist ein sicherer Job. Die kommunale Arbeitsverwaltung will, daß sich die Frau einen neuen Job sucht, weil ihr Mann ALG II-Empfänger ist, der wegen einer Netzhautablösung schwerbehindert ist.
Bundestagspolitiker meinten, sie haben mit der Regelung kein Problem.

Speziell Klaus Brandner (SPD) findet es richtig, daß diejenigen die erwerbstätig sind, auch Ausschau halten sollten, den Umfang der Erwerbstätigkeit auszubauen, damit die Gemeinschaft, in der man lebt, aus der Hilfebedürftigkeit herauskommt. Herr Brauksiepe (CDU) findet es richtig, die Erwartung zu äußern und klar gesetzlich zu sanktionieren, daß jeder sich um seine Beseitigung seiner Hilfebedürftigkeit bemüht, auch wenn er schon Arbeit hat. Das ist der Grundsatz. Und dann geht es darum, dann vor Ort bei der praktischen Arbeit diesen Grundsatz und alle anderen gesetzlichen Regelungen, die es gibt, sinnvoll mit Leben zu erfüllen.
Die Familie im dritten Fall ist, um ihren Job nicht zu gefährden, zu ihren Eltern gezogen, um kein weiteres ALG II beziehen zu müssen.

 

Die ganze Regelung beruht auf § 2 SGB II, der von allen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen die Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit fordert.
Hier hat der Gesetzgeber im Übrigen die Was-Wäre-Wenn Methode angewandt. Denn gäbe es keine ALG II-Unterstützung (reiner Kapitalismus), würde jede Familie sich darum bemühen, sich finanziell so zu stellen, daß sie mit ihrem Einkommen ihren Lebensunterhalt eigenständig bestreiten kann. Das Problem der Regelung ist, wie eine Schädigung durch Jobwechsel und Jobverlust vermieden werden kann und inwieweit das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen eingeschränkt werden darf.

Im reinen Kapitalismus ist es für den einzelnen Haushalt also richtig, wenn er sich um eine Einkommenssteigerung bemüht, um aus eigenen Kräften seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, denn ansonsten fehlte ihnen das nötigste am leben.
Im reinen Kapitalismus hat man schon um des Volksfriedens Willen beizeiten die Notwendigkeit der Hilfe zum Lebensunterhalt erkannt, wodurch er einen sozialen Anstrich bekam. In einer fortgeschrittenen sozialen Marktwirtschaft sollte es im Rahmen der Verhältnismäßigkeit für den Staat darauf ankommen, zwar auf eine Einkommenssteigerung hinzuwirken, aber in Absprache mit dem einzelnen alles im gegenseitigen Interesse abzuklären, weil es dem Staat nichts nützt, durch einen Jobverlust die volle und dauerhafte Arbeitslosigkeit Betroffener zu erzeugen. Denn dadurch würden die ALG -Kosten steigen, insbesondere dann, wenn dem Vorunternehmer einfällt, die Stelle komplett zu streichen. Im gesunden Rechtsverstande wäre der Staat dann nämlich sogar schadensersatzpflichtig.
Im einzelnen und zur Bewertung der Verhältnismäßigkeit besteht in Deutschland hohe Arbeitslosigkeit und es ist die Wahrscheinlichkeit eines Jobverlustrisikos nach Neuaufnahme einer Arbeit groß. Das Jobverlustrisiko ist auch groß, wenn eine Person eine Tätigkeit aufnehmen soll, für die er nicht qualifiziert ist. Im Rahmen des grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts des einzelnen ist die Qualifizierung und die Sicherung einer beruflichen Lebensperspektive zu gewährleisten.
Daraus ergeben sich unter der Berücksichtigung des Willens der Beteiligten die Maßstäbe für die Problembehandlung für obige Einzelfälle.
1. Die Pflicht zur Aufnahme eines anderen Jobs bei einer bereits bestehenden sicheren Beschäftigung ist unverhältnismäßig und führt eher zum Schaden aller.
2. Die Aufnahmepflicht zusätzlicher Arbeit, die mit sonstigen gesetzlichen Regelungen vereinbar ist und sich nicht schädlich auf die Haupttätigkeit auswirkt, wäre zulässig.
3. Ein erzwungener Wohnungswechsel in die elterliche Wohnung ist im Raubtierkapitalismus denkbar, aber mit den Grundrechten unserer Gesellschaft unvereinbar.
4. Die Aufnahme eines Hauptjobs mit anderer Qualifizierung oder entgegen bisheriger längerer beruflicher Praxis kann nicht gefordert werden.

In den Beiträgen fielen solche Begriffe wie absurd, bizarr, falscher Film, nicht menschlich. Eine Arbeitsvermittlerin bezeichnet die Zusatzbelastung als Zumutung.

Nur eine hatte das Problem geradeso mit Worten, statt gefühlsmäßig, richtig erkannt, es sei nicht menschlich. Das ist der springende Punkt, all das was nicht menschlich ist, was in das Persönlichkeitsrecht in unvertretbarer Weise eingreift, ist naturrechtswidrig und damit grundrechtswidrig. Verfassungsbeschwerden in allen o.g. Fälle hätten theoretisch vor dem Verfassungsgericht bestand und diese Fälle bekunden eher das willkürliche Handeln gegen Bürger als die Absicht ALG II-Kosten zu senken.

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