Zur Rechtsstaats-Serie im SAAR-ECHO: Nichts erfordert mehr Mut und Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden


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Saarbrücken. (SE) In Deutschland scheint etwas in Bewegung geraten zu sein, seit unsere Zeitung in einer hochaktuellen Serie der Frage nachgeht, inwieweit es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um einen Rechts- oder um einen Unrechtsstaat handelt. Nicht daß sich die ”staatstragenden” Mainstream-Medien zu eigenen Recherche veranlaßt sähen, gewiß nicht, aber die Reaktionen aus bürgerlichen Kreisen deuten darauf hin, daß es alsbald zu einer flächendeckenden Diskussion kommen wird. Dabei dürfte es ebenso um die politischen Konstellationen im Blick auf grundgesetzliche Pflichten, Versäumnisse und Verfehlungen gehen und vor allem um die unseligen und im übrigen verbotenen Verquickungen von Legislative und Judikative. Nachfolgend veröffentlichen wir einen Beitrag unserer Leserin Edith Schultheiß aus Freiburg:

Endlich legt ein Medium den Finger in die schwärenden Wunden des todgeweihten Patienten ”Rechtsstaat” und schafft durch mutige und vorurteilsfreie Inspektion die Voraussetzung für eine valide und umfassende Diagnose (die selbstredend wiederum die conditio sine qua non unerläßliche Voraussetzung für jeglichen therapeutischen Ansatz darstellt). Meine Begeisterung über diese Serie erklärt sich aus dem von mir beobachteten und selbsterlebten Versagen der meisten Mainstream-Medien, welche vor den grundsätzlichen Webfehlern des - für das Überleben unserer Demokratie essentiellen! -Organismus ”Justiz” die Augen verschließen und sich selbst bei krassesten Mißständen mit oberflächlichem Herumdoktern an den Symptomen begnügen.

Als Synonym für einen Journalismus, der den Spagat zwischen ”soviel Kritik wie nötig” (damit der Artikel überhaupt Leser findet) und ”sowenig Konfrontation mit dem Justiz- Establishment wie möglich” unübertrefflich optimiert, diene der SPIEGEL, bzw. dessen für das Ressort Justiz verantwortliche Journalistin Gisela Friedrichsen. Diese hat sich mit ihren SPIEGEL-Reportagen von (ganz überwiegend strafprozessualen) Verhandlungen ”an die Spitze der deutschen Gerichtsjournalisten geschrieben” (ARD-Original-Tenor) und tingelt jetzt als eine der ”profiliertesten” (Wikipedia) VertreterInnen ihres Faches durch die Talk-Shows. Tatsächlich kann man ihr Verdienste nicht absprechen - so hat sie wesentlich beigetragen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber einigen besonders befremdlichen (und sich schließlich zum handfesten Skandal auswachsenden) Strafverfahren (etwa den sogenannten Wormser Mißbrauchsprozessen). Wird Frau Friedrichsen indes zu den Ursachen der von ihr selbst erlebten Justizdesastern befragt , so flüchtet sie in nichtssagende Banalitäten, verweist auf die menschliche Natur (”Richter sind auch nur Menschen”) und die dieser innewohnenden Mängelbehaftetheit. Letztere ortet Gisela Friedrichsen übrigens vorrangig bei den (großenteils sich aus Nicht-Juristen rekrutierten) Ermittlungsbehörden.

Deutschlands bekanntester Strafverteidiger Rolf Bossi wird in seinem 2005 erschienenen Dokumentarbericht ”Halbgötter in Schwarz” schon deutlicher. Dieses Buch gibt Kunde von Strafrichtern und deren haarsträubenden (aus dem letzten Jahrzehnt stammenden) Urteilen: Da werden entlastende Aussagen der wichtigsten Zeugin oder mit der Anklage disharmonierende kriminaltechnische Ergebnisse schlichtweg unter den Teppich gekehrt (um die Entscheidung ”revisionssicher” zu ”schreiben”), eine katastrophale Beweislage wird durch eine geradezu atavistische Strafe kompensiert (zusätzlich zum ”Lebenslänglich” wird eine ”besonders schwere Schuld” im Urteil ohne den Anhauch einer einleuchtenden Begründung hypostasiert und damit einer Entlassung nach 15 bis 20 Jahren ein Riegel vorgeschoben), konsequent wird die oberste Strafrechtsmaxime ”in dubio pro reo” in ihr schieres Gegenteil (”in dubio contra reum”) verkehrt.

Altmeister Bossi beläßt es nicht bei bloßer Beschreibung solcher ”unerhörten Vorgänge” (Bert Brecht), sondern spürt die Kausalitäten auf. Die Hauptursache für grobes (geradezu kriminelles) Fehlverhalten der Götter in den Roben sieht er im Fehlen jeglicher Konsequenzen für die Täter. Dank eines fatalen juristischen Standesdenkens geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein bundesdeutscher Richter wegen Rechtsbeugung zur Verantwortung gezogen, angeklagt /verurteilt bzw. aus dem Staatsdienst entfernt wird - um es auf eine kurze Formel zu bringen: Rechtsbeugung existiert nur de jure, nicht de facto.

Anläßlich des Erscheinens von Rolf Bossis aufsehenerregendem Buch lud Sandra Maischberger am 13. Mai 2005 den Autor und Gisela Friedrichsen zur Talk-Show. Frau Friedrichsen sah sich selbst durch die - sie wahrscheinlich kaum sonderlich überraschenden - Enthüllungen Bossis auch jetzt nicht bemüßigt, generelle Justiz-Mißstände einzuräumen oder Maßnahmen vorzuschlagen, wie zukünftigen Justizskandalen vorgebeugt werden könnte. Anscheinend weiß Gisela Friedrichsen genau, wie weit sie gehen darf/will :
Maßvolles Mäkeln an Einzel-Fällen/Richter/ Gerichte - ja, ins Mark zielende Systemkritik - nein!

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