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Matthias Guttke

Wem gehört die Krim?

Putins Rechtfertigung der Krim-Annexion

DOI 10.1515/slaw-2015-0021

Summary: Given the doubtfulness of the legal justification of Crimeas declaration of independence on March 11 2014, which was followed by a referendum on March 16 that culminated in the peninsulas treaty with Moscow to join the Russian Federation, Mr Putin used his speech on March 18 to put historical arguments forward in an effort to legitimise the Russian course of action in front of his own population. The speech counters the international communitys legal assessment, which classified Crimeas accession to Russia as an annexation, with a historical legitimisation full of symbolism and mysticism that blatantly reinterprets Russian history and delegitimises the territorial integrity of Ukraine. This article analyses Putins attempt to justify Russias annexation of Crimea and tries to infer the mindset and aims that lie behind his historic-political argumentation.

Keywords: Crimea, Crimeas accession to Russia, argumentation and legitimisation, (re)construction of the past, history as a practice applied to create fiction, President Vladimir Putins speech on March 18 2014

1 Einleitung

Der Vertrag über den Beitritt der Krim sowie der Stadt Sevastopolals 84. bzw. 85. Föderationssubjekt in den Verband der Russischen Föderation wurde direkt im Anschluss an die Rede des russischen Präsidenten, Vladimir Putin, am 18. März 2014 unterzeichnet.1 In der Ansprache an die Nation im Georgsaal des Kreml vor

1 Die Ratifikation des Vertrages erfolgte durch den russischen Föderationsrat am 21. März 2014. Damit sieht Russland die Krim und die Stadt Sevastopolals Teile Russlands an. (vgl. Договор между Российской Федерацией и Республикой Крым о принятии в Российскую Федерацию Республики Крым и образовании в составе Российской Федерации новых субъектов , http://kremlin.ru/events/ president/news/20605).

Dr. Matthias Guttke: ist Lehrbeauftragter am Institut r Slavistik der Technischen Universität, 01062 Dresden, E˗ Mail: matthias.guttke@gmail.com

Mitgliedern des Föderationsrates, Abgeordneten der Staatsduma und Vertretern der Republik Krim sowie der Stadt Sevastopol2 legitimiert und rechtfertigt Putin das russische Vorgehen im Wesentlichen in Rekurs auf (1) das Referendum vom

16. März 2014 und vor allem auf (2) geschichtspolitische Darstellungen, die den Anspruch Russlands auf die Krim aus der Sicht Putins historisch herleiten:

(1)
Вголосовании приняло участие более 82 процентов избирателей. Более 96 процентов высказалось за воссоединение с Россией. Цифры предельно убедительные. (aus: Обращение Президента Российской Федерации, http://kremlin.ru/events/ president/news/20603)
(2)
Чтобы понять, почему был сделан именно такой выбор, достаточно знать историю Крыма, знать, что значила и значит Россия для Крыма и Крым для России. ВКрыму буквально всё пронизано нашей общей историей и гордостью. (aus: Обращение Президента Российской Федерации, http://kremlin.ru/events/ president/news/20603)

Offenbar nutzt Putin die normative Kraft vermeintlicher Faktizität, um tatsächliche Widersprüche als zwingende Normen des Völkerrechts einerseits und als historische Debatten andererseits zu verschleiern. Erst aufgrund der sehr schwachen völkerrechtlichen Position im Zusammenhang mit a) der Unabhängigkeitserklärung der Krim vom 11. März 2014, b) dem abgehaltenen Referendum vom

16. März 2014 und c) dem Vertrag über die Aufnahme der Krim in den Staatsverband Russlands3 rückt Putin in seiner Rede an die Nation m. E. vor allem geschichtspolitische Argumente in den Vordergrund, ganz offenbar, um nach innen gegenüber der eigenen Bevölkerung das russische Vorgehen zu legitimieren. Denn international ist Russland in der Krimfrage isoliert. Zwar können ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrates Staaten nicht verpflichtet werden, das Referendum, die Sezession und die Annexion der Krim nicht anzuerkennen (Russland legte in dieser Frage am 15. März 2014 sein Veto4 ein); die Resolution 68/262 der UNO-Vollversammlung vom 27. März 2014 gilt jedoch als Grundsatz: Noting that

2 Добрый день, уважаемые члены Совета Федерации, уважаемые депутаты Государственной Думы! Уважаемые представители Республики Крым и Севастополя они здесь, среди нас, граждане России, жители Крыма и Севастополя!(Обращение Президента Российской Федерации , http://kremlin.ru/events/ president/news/20603). 3 Mit der Resolution 68/262 erklärte die UNO-Vollversammlung mit 100 zu 11 Stimmen bei 58 Enthaltungen die Sezession der Krim r ungültig (vgl. Resolution adopted by the General Assembly on 27 March 2014. Territorial integrity of Ukraine, http://www.un.org/en/ga/search/vie w_doc.asp?sym-bol=A/RES/68/262). 4 Owing to the negative vote of one of its permanent members, the United Nations Security Council today failed to adopt a draft resolution which urged countries not to recognize the results

the referendum held in the Autonomous Republic of Crimea and the city of Sevastopol on 16 March 2014 was not authorized by Ukraine, [] Calls upon all States, international organizations and specialized agencies not to recognize any alteration of the status of the Autonomous Republic of Crimea and the city of Sevastopol on the basis of the above-mentioned referendum and to refrain from any action or dealing that might be interpreted as recognizing any such altered status.5

Neben der völkerrechtlichen Dimension betone ich im Folgenden in erster Linie die Funktion einzelner Geschichtsdarstellungen in der Rede Putins vom

18. März 2014. Die zentrale Fragestellung der Untersuchung lautet: Welche Handlungswerte und -absichten verbergen sich hinter der geschichtspolitischen Argumentation Putins? Methodisch erörtere ich diese Frage im Rekurs auf Arbeiten von Hayden White (1986; 1991) und dessen These, Geschichte als ein System fiktionsbildender Verfahren zu betrachten, sowie mit Hilfe diskurs-sowie argumentationsanalytischer Ansätze (vgl. u. a. Foucault 1995; Habermas 1995; Morris 1955; Lotman/Uspenskij 1984; Eco 1977; 1991). Zunächst sei im Folgenden in aller Kürze ein Abriss über den Verlauf und den politischen Kontext der Krimkrise gegeben.

2 Der politische Kontext der Krim-Annexion

Auslöser der monatelangen, zunächst von Studierenden getragenen Proteste des Euromaidan in Kiev war die überraschende Nicht-Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Ukraine am 21. November 2013 in Vilnius (vgl. Snyder 2014). Vor allem Studierende sahen sich durch die plötzliche Abkehr des Präsidenten Viktor Janukovyč vom Kurs einer zunächst wirtschaftlich vertieften Zusammenarbeit mit der Europäischen Union ihrer Perspektiven beraubt: Many of the student protesters were looking forward to living in a Ukraine that functioned as part of Europe and the West. By abruptly and arbitrarily halting the EU talks, the president, they felt, had robbed them of their future.(Diuk 2014: 4). Der Maidan wurde zum Inbegriff des von Gewalt überschatteten Protestes, an dem sich weite Teile der ukrainischen Bevölkerung aktiv beteiligten:6 A maidan now means in Ukrainian what the Greek word agora

of this weekends referendum in Crimea. (UN Security Council action on Crimea referendum, htt p://www.un.org/ apps/news/story.asp?NewsID=47362#.VTYUV0bwBdg). 5 Vgl. http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/6/262, S. 2. 6 Nach der repräsentativen Umfrage des Kiever Sozialogischen Instituts (KMIS) vom 9. bis

18. Oktober 2014 beteiligten sich 11,4% der ukrainischen Gesamtbevölkerung an den Protesten in

means in English: not just a marketplace where people happen to meet, but a place where they deliberately meet, precisely in order to deliberate, to speak, and to create a political society. During the protests the word maidan has come to mean the act of public politics itself [](Snyder 2014). Auf dem Höhepunkt der Gewalt trafen die drei Außenminister Frankreichs, Deutschlands und Polens mit dem ukrainischen Präsidenten Janukovyč und Vertretern der drei Oppositionsparteien UDAR, Svoboda sowie Batkivščyna am 21. Februar 2014 eine Vereinbarung über die Beilegung der Krise in der Ukraine7. Daraufhin überschlugen sich die Ereignisse: Noch vor dessen Absetzung am Tag nach der Unterzeichnung der Vereinbarung am 22. Februar 2014 floh der ukrainische Präsident noch in der Nacht nach Russland.

Zunächst weist Putin das direkte Eingreifen russischen Militärs auf der Krim zurück; ein Jahr später strahlt das russische Staatsfernsehen Rossija 1 am 16. März 2015 eine Dokumentation Die Krim Die Rückkehr nach Hause, (russ. Крым Путь на Родину), aus, in der Interview-Ausschnitte spätestens jetzt unmissverständlich deutlich machen, dass Putin bereits am 23. Februar 2014 in einer Krisensitzung gesagt hatte: Я всем коллегам сказал: мы вынуждены начать работу по возврату Крыма в состав России( www.youtube.com/ watch? v=t4271RpRgI). Ab dem 27. Februar 2014 besetzte das russische Militär schließlich strategische Einrichtungen sowie ukrainische Militärbasen und sicherte den Machtwechsel in der Regierung der Autonomen Republik Krim: Der amtierende Ministerpräsident Mohiljov (Partei der Regionen) wurde auf einer nicht-öffentlichen außerordentlichen Sitzung in Folge einer Wahl des moskaunahen Sergej Aksenov von der auf der Krim kaum erfolgreichen Partei Russkoe Edinstvo(ein Ableger der Kreml-Partei Einheitliches Russland) mit 55 von 64 registrierten Stimmen ersetzt (vgl. Jilge 2015: 2). Im Rahmen dieser Sondersitzung stimmten 61 von 64 anwesenden Abgeordneten darüber hinaus r die Durchführung eines Referendums über die staatliche Zugehörigkeit der Krim.8 Luchterhandt (2014: 2) kritisiert in diesem Zusammenhang v. a. die offensichtliche Gewaltanwendung, die im Falle der Krim in der handstreichartigen Übernahme des Obersten Sowjets der Autonomen Republik durch eine Einheit der Hauptverwaltung r Aufklärung des Generalstabs der Streitkräfte Russlands, der Absetzung der bisherigen Krim-

Kiev und in anderen Orten der Ukraine. Weitere 8,9% gaben an, die Demonstrationen unterstützt zu haben (durch Spenden, Lebensmitteln etc.). Vgl. http://www.dif.org.ua/ua/polls/2014_polls/ hethrtjhrrhthrtt.htm. 7 Vgl. Agreement on the Settlement of Crisis in Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/cae/se rvlet/ contentblob/671348/publicationFile/190025/140221-UKR_Erklaerung.pdf. 8 Vgl. Number of Crimean deputies present at referendum resolution vote unclear, http://en.inter fax. com.ua/news/general/193292.html.

Regierung und der Ernennung des Exponenten der r den Anschluss an Russland eintretenden politischen Kräfte der Krim, Sergej V. Aksenov, zum Chef der Exekutive bestehe. Das Gewaltverbot ist ein Grund, warum nach Luchterhandt (ibid.: 6) die Aufnahme der Krim und der Stadt Sevastopolin den Verband der Russischen Föderation ein vom Völkerrecht nicht gedeckten Eingriff Russlands in die territoriale Unversehrtheit der Ukraine darstelle. Dieser völkerrechtlichen Beurteilung, es handle sich um einen Akt der Annexion, die von außen auf Russland Druck ausübt, setzt Putin historische Legitimationen entgegen, die nach innen wirken. Dies gelingt mit eklatanten Umdeutungen, symbolischer bzw. mythischer Aufladung historischer Stoffe und einer De-Legitimierung der territorialen Integrität der Ukraine.

3 Putins historische Legitimationsversuche der Krim-Annexion

Putins Rede vom 18. März 2014 dient nach Jilge (2015: 4) als offizielle Richtschnur bei der Darstellung und Deutung des Beitritts der Krim sowie der Stadt Sevastopolals neue Föderationssubjekte.9 In seiner Krim-Rede gibt Putin einerseits eine völkerrechtliche Begründung und andererseits hebt er die historisch-kulturelle Bedeutung der Krim als russischer Erinnerungsort hervor. Indem sich Putin in seiner Ansprache v. a. auf die Vergangenheit (res gestae) bezieht, inszeniert er dieselbe (historia rerum gestarum) (vgl. Blasberg 2002: 105), d. h. er gebraucht Aussagen über die Bedeutung der Halbinsel Krim r Russland, bei denen das vermeintlich Faktische nicht als Ergebnis von Aushandlungsprozessen, ob der mit einer Aussage erhobene Wahrheitsanspruch eingelöst werden kann bzw. ob deren Wahrheitsgehalt der Falsifizierung standhält oder nicht, sondern als etwas Präjudiziertes, Präfiguriertes präsentiert wird, das einer bestimmten narrativen Strukturierung folgt (vgl. White 1991: 12). Putin insistiert auf einer verpflichtenden historisch-kulturellen, auf das Engste mit Russland verbundenen Kontinuität, von der er behauptet, dass sie auf historische Wahrheiten zurückführbar sei und somit die Gegenwart legitimieren könne ganz so als liege der Vergangenheit

9 Im Mai 2014 hatte das russische Bildungsministerium eine Anweisung veröffentlicht, wonach in Schulen bei der Behandlung des im Lehrplan vorgeschriebenen Themas Krim und Sevastopol: Ihre historische Rolle r Russland die Sichtweise der Regierung gelehrt werden muss. Laut Lehrplan hatte die Annexion friedenssichernden und humanitären Charakter und diente dem Ziel, die Krimbevölkerung zu schützen(Jilge 2015: 4).

organisches Wachstum zugrunde.10 Der Beleg (2) in der Rede exponiert als einleitender Kurzabsatz macht durch die Verwendung des Alloquantors всё und der kontinuitätssignalisierenden Verwendung der Tempora значила и значит sehr deutlich, dass Putin der Krim eine enorme Bedeutung beimisst, ist die Krim doch r sie [die russische Bevölkerung, M.G.] ein besonderer Ort, der außerordentlich hohes symbolisches Kapital birgt(Jobst 2015: 6). Welche Schwerpunkte setzt Putin, um die Rückkehr der Krim nach Russland historisch bzw. geschichtspolitisch zu legitimieren?

3.1 Die Krim als Ort der Christianisierung

Ein Kernelement der historischen Legitimation der Aufnahme der Krim und der Stadt Sevastopolist nach Putin ihre religiöse Bedeutung r Russland:

(3) В Крыму буквально всё пронизано нашей общей историей и гордостью. Здесь древний Херсонес, где принял крещение святой князь Владимир. Его духовный подвиг обращение к православию предопределил общую культурную, ценностную, цивилизационную основу, которая объединяет народы России, Украины и Белоруссии. (aus: Обращение Президента Российской Федерации, http://kremlin.ru/events/ president/news/20603)

Putin bezieht sich auf das u. a., aber nicht nur in der Nestor-Chronik überlieferte Ereignis, nach dem der zuvor heidnische Großfürst der Rus(Knjazvon 980 bis 1015), Vladimir I., im Jahre 988 in Chersones heute Ruinen bei Sevastopolgetauft wurde und damit die Ruszum orthodoxen Glauben führte. Nach Poppe (1976: 205) ersuchte Kaiser Basileios II. im Mai/Juni 987 bei Vladimir Hilfe gegen Bardas Phokas, Usurpator, der Anspruch auf den byzantinischen Thron erhob. r seine Militärhilfe gegen die Aufständischen und sein Versprechen während der Kiever Verhandlungen im September 987, sich und sein Volk taufen zu lassen, wurde die kaiserliche Schwester Anna Gemahlin Vladimirs eine Verbindung mit dem byzantinischen Kaiserhaus (vgl. Podskalsky 1982: 18 f.) ein politisch motivierter, taktischer Schachzug Vladimirs zur Stärkung seiner Herrschaft nach Innen und nach Außen []. Und ungeachtet der nicht mehr im einzelnen rekon

10 Damit bleibt Putin im Grunde einer sowjetisch geprägten geschichtsphilosophischen Tradition treu, die z. B. Lukács (1955: 21 ff.) maßgeblich prägte, nach der der Mensch sein Leben als Konsequenz eines historischen Prozesses ansieht und somit auch seine eigene Zeit als historisch legitimiert begreift.

struierbaren Umstände der Taufe des Großfürsten und der Christianisierung der Kiever Rus, ist eine Verbindung zwischen der Geschichte Chersones und der nördlichen slavischen Territorien unstrittig(Jobst 2013: 6).

Indem Putin an die Krim als Ort der Christianisierung der Rusin (3) erinnert, lädt er ihn mit symbolischer Bedeutung r Russland auf und textualisiert dieses historische Ereignis mit dem Ziel, einen fiktionalen Rahmen zu schaffen, der das Herleiten der religiös motivierten Legitimation der russischen Herrschaft über die Krim erlaubt: Der religiöse Erinnerungsort Chersones als Ursprung des orthodoxen Christentums ist nach Putin die gemeinsame kulturelle Basis aller drei Völker, Russlands, der Ukraine und Weißrusslands. Putin spielt darüber hinaus auf die antike Bedeutung Chersones im kollektiven Gedächtnis Russlands an als Zentrum hellenistischer Kultur und dem Ort des Iphigenie-Mythos (Glucks Oper und Goethes Iphigenie auf Tauris). Aus dieser Sichtweise heraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die alleinige Zugehörigkeit der Krim seit 1991 zur unabhängigen Ukraine aufgrund ihrer religiösen Bedeutung r Russland nicht akzeptiert werden könne Russland habe hiernach ein religiös begründetes Anrecht auf die Krim. Dies gilt auch und insbesondere r ihre militärhistorische Bedeutung.

3.2 Die Krim als Ort des Heroismus mit der russischen Heldenstadt Sevastopol

r die militärische Erinnerungskultur Russlands spielt die Krim und v. a. die Stadt Sevastopolmit ihrem Hauptquartier der Schwarzmeerflotte eine zentrale, ja hochemotionale Rolle, die Putin in seiner Rede akzentuiert:

(4) В Крыму могилы русских солдат, мужеством которых Крым в 1783 году был взят под Российскую державу. Крым это Севастополь, город-легенда, город великой судьбы, город-крепость и Родина русского черноморского военного флота. Крым это Балаклава и Керчь, Малахов курган и Сапун-гора. Каждое из этих мест свято для нас, это символы русской воинской славы и невиданной доблести. (aus: Обращение Президента Российской Федерации, http://kremlin.ru/events/ president/news/20603)

Die Krim und die Stadt Sevastopolstellen r Russland nach King (2010: 319) ein doppeltes imperiales Erbe dar. Sie sind ein mythisch aufgeladener militärischer Erinnerungsort des zaristischen Russland und der Sowjetunion. 1783 ist ein Schlüsseljahr r Putin: Die seit dem 15. Jahrhundert unter osmanischer Oberhoheit stehende Krim wurde nach dem Sturz des Tatarenkhans unter Katharina II.

russisch11 –„ein kolonialer Akt, der im Kontext mit sehr viel weitreichenderen, letztlich aber unverwirklichten Plänen nämlich dem Traum von einer Eroberung Istanbuls/Konstantinopels durch das Zarenreich zu sehen ist(Jobst 2015: 7). Katharina II. ließ 1784 die Stadt Sevastopolgründen und weitete ihre Herrschaft gegen das geschwächte Osmanische Reich über die gesamte Nordküste des Schwarzen Meeres aus.

Putin akzentuiert in (4) die Rolle von Sevastopol, einer Stadt, der im kollektiven Gedächtnis eine geostrategische Bedeutung zukommt die Verteidigung russischer Interessen im Süden. Nach King (2010: 321) stand der Hafen mit Beginn des 19. Jahrhunderts ganz im Zeichen der Kriegskunst: Die wiederholten Zusammenstöße zwischen Zar und Sultan waren ein Segen r den Schiffbau(ibid.). Im Jahre 1853 griff Russland wenig ruhmreich die in Sinope ankernde osmanische Flotte an, ein Umstand, der die Mächte Frankreich und Großbritannien intervenieren ließ. 1854 landeten alliierte Streitkräfte auf der Krim. Sevastopolwiderstand den Belagerern im Krim-Krieg (185356) 349 Tage. Diese Verteidigung der Hafenstadt findet sich in zahlreichen Artefakten russischer Kultur12 und wiederholt sich im Zweiten Weltkrieg der Jahre 1941/42, in denen Sevastopolder Wehrmacht über 200 Tage standgehalten hatte, was sie neben Leningrad, Stalingrad und Odessa zu den ersten vier sowjetischen Städten zählen ließ und was ihr den Titel Heldenstadt (gorod-geroj) einbrachte (vgl. Jobst 2015: 8).

Putin inszeniert in (4) ganz bewusst die Krim als Ort des Heroismus und Sevastopolals Heldenstadt, indem er auf die nationale russische Mythologie aufbaut, nach der die Krim tapfere Hüterin russischer Interessen im Süden und die Stadt durch russisches Blut und Opfer geheiligt sei durch die Symbolik des heldenhaften, doch hoffnungslosen Widerstandes der Jahre 1854/55 und 1941/4213 ein

11 Bereits Zar Peter der Große verfolgte militärische Pläne, am Asowschen Meer einen russischen Flottenstützpunkt zu errichten dies scheiterte jedoch an der militärischen Überlegenheit der Osmanen (vgl. King 2010: 320). 12 Genannt sei hier Lev Tolstoj, der als 25-jähriger Soldat in der russländischen Garnison diente und dessen eingesetzter Erzähler in den Sevastopoler Erzählungen (russ. Sevastopolskie rasskazy) Szenen des Krim-Krieges nicht heldenhaft, sondern schonungslos darstellt: Erschreckende, die Seele erschütternde Bilder werden Sie hier zu Gesicht bekommen, den Krieg nicht in seiner wohlgeordneten, schönen und glänzenden Form, mit Musik und Trommelwirbel, mit wehenden Bannern und stolz zu Pferde sitzenden Generälen sehen, sondern in seiner wirklichen Gestalt in Blut, Qualen und Tod …“http://de.wikipedia.org/wiki/Sewastopol-Zyklus#cite_note-5 (Tolstoj 2002: 13). 13 King (2010: 324) macht darauf aufmerksam, dass sich diese Mythologie in dem 1904 in Auftrag gegebenen gigantischen Panorama-Bildvon Franz Roubauds Belagerung von Sevastopolwiderspiegelt und komprimiert: Der Heldentod russischer Verteidiger im hoffnungslosen Kampf gegen die Alliierten.

Narrativ des Heldentums, den Putin in (4) aktiviert als ein wackerer Seehafen, der fern vom Herzen Russlands darum rang, seine Zukunft zu sichern; ein Vorposten der russischen Zivilisation in einem ungebärdigen Grenzgebiet; ein strategischer Aktivposten, welcher ein Objekt der ewigen Begierde von Russlands Feinden war(King 2010: 324). Es ist dieser Mythos, den Putin in seiner Rede am 18. März 2014 fortschreibt und zur historischen Legitimation des Krim-Anschlusses einsetzt.

3.3 Die natürliche Wiedervereinigung mit Russland

In seiner Rede am 18. März 2014 an die Nation deutet Putin die Krim-Annexion geschichtspolitisch um als selbstverständliche Wiedervereinigung der russischen Krim mit dem Mutterland Russland. Die russisch-sprachige Mehrheit der Krim und die Bevölkerung der Russischen Föderation imaginiert Putin historisch als gewachsene soziokulturelle Einheit bzw. als gemeinsame Erinnerungsgemeinschaft (vgl. Jilge 2015: 4):

(5) Уважаемые коллеги! В сердце, в сознании людей Крым всегда был и остаётся неотъемлемой частью России. Эта убеждённость, основанная на правде и справедливости, была непоколебимой, передавалась из поколения в поколение, перед ней были бессильны и время, и обстоятельства, бессильны все драматические перемены, которые мы переживали, переживала наша страна в течение всего ХХ века.[] Сегодня, спустя уже много лет, я слышал, как крымчане, совсем недавно, говорят, что тогда, в 1991 году, их передали из рук в руки просто как мешок картошки. Трудно с этим не согласиться. Российское государство, что же оно? Ну что, Россия? Опустила голову и смирилась, проглотила эту обиду. Наша страна находилась тогда в таком тяжёлом состоянии, что просто не могла реально защитить свои интересы. Но люди не могли смириться с вопиющей исторической несправедливостью. Все эти годы и граждане, и многие общественные деятели неоднократно поднимали эту тему, говорили, что Крым это исконно русская земля, а Севастополь русский город. (aus: Обращение Президента Российской Федерации, http://kremlin.ru/events/ president/news/20603)

Putin beschwört in (5) aus der Sicht der Bevölkerung heraus eine kontinuierlich gewachsene, russische Kulturidentität der Krim, deren Wiedervereinigung mit dem Mutterland Russland historisch folgerichtig sei und die Lücke einer historischen Ungerechtigkeit schließe, welche die Krim nach der Unabhängigkeit der Ukraine am 24. August 1991 erfahren musste, als sie wie ein Sack Kartoffeln aus den eigenen Händen in andere übergeben worden sei. Putin spricht explizit von russischer Erde eine Metapher bzw. Doktrin, die das Staatsverständnis einer Kulturnation zugrunde legt, die entgegen völkerrechtlich bindender Verträge und den mit ihnen verpflichtenden Normen und Regeln der Staatsnation erwähnt seien in erster Linie der Bruch Russlands mit dem Budapester Memorandum des Jahres 1994, mit der KSZE-Schlussakte des Jahres 1975, der Charta von Paris 1990 und der Nato-Russland-Grundakte 1997 auf historisch legitimierungsfähige, außerhalb des Staatsgebietes liegende Gebiete Anspruch erhebt (vgl. Saxer 2014).

Diese Argumentation, die auf den Topos des Sammelns russischer Erde zurückgeht (Goehrke 2010: 109), nivelliert differenzierte Darstellungen über die multiethnische Zusammensetzung der Krim-Bevölkerung,14 degradiert das tatarische historische Erbe der Krim und vernachlässigt den Fakt, dass der Autonomen Republik Krim innerhalb der Ukraine bereits weitreichende Schutzrechte zuerkannt waren.

Putin untermauert die natürliche Wiedervereinigung der Krim mit Russland, indem er diesen Prozess mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahre 1990 vergleicht:

(6) Верю, что меня поймут и европейцы, и прежде всего немцы. Напомню, что в ходе политических консультаций по объединению ФРГ и ГДР на, мягко говоря, экспертном, но очень высоком уровне представители далеко не всех стран, которые являются и являлись тогда союзниками Германии, поддержали саму идею объединения. А наша страна, напротив, однозначно поддержала искреннее, неудержимое стремление немцев к национальному единству. Уверен, что вы этого не забыли, и рассчитываю, что граждане Германии также поддержат стремление русского мира, исторической России к восстановлению единства. (aus: Обращение Президента Российской Федерации, http://kremlin.ru/events/ president/news/20603)

Es handelt sich in (6) um eine historische Analogie, bei der die Vergleichbarkeit zweier unterschiedlicher Problemlagen lediglich behauptet bzw. unterstellt wird. Tatsächlich unterscheidet sich der Analogieträger, die deutsche Wiedervereinigung, in zwei entscheidenden Punkten vom Krim-Anschluss; zum einen dadurch, dass es sich im Falle der deutschen Einheit um die Zusammenführung zweier Staaten gleicher Nation gehandelt hat und zum zweiten dass dieser Prozess von der internationalen Gemeinschaft u. a. im Rahmen des 2+4-Vertrages begleitet wurde im Falle der Krim kam es zu einer Teilung der Ukraine und zu einer einseitigen Annexion vor dem Hintergrund militärischer Gewaltandrohung.15

14 Nach der ukrainischen Volkszählung des Jahres 2001 lebten auf der Krim insgesamt 2,024 Millionen Menschen, davon gaben 58,5% an, Russen zu sein, 24,4% Ukrainer und 12,1% Tataren (vgl. http://2001.ukrcensus.gov.ua/eng/results/general/nationality/Crimea/). 15 Vgl. Regierungserklärung von Steffen Seibert zum Anschluss der Krim an Russland (http:// www.bun-desregierung.de/Content/DE/Artikel/2014/03/2014-03-19-ukraine-abkommen.html).

4 De-Legitimierung der ukrainischen territorialen Integrität

In seiner Rede vom 18. März 2014 lässt Putin deutlich werden, dass sich die Wurzeln russischer Staatlichkeit bzw. der russischen Weltam Dnepr, in Kiev, dem Zentrum der Rusund der Mutter aller russischen Städtebefinden. Damit nährt er Zweifel an der Existenzberechtigung einer unabhängigen Ukraine und begründet die Einflussnahme Russlands auf sein historisches Erbe und vor allem auf die Träger desselben, der russischsprachigen bzw. russischen Bevölkerung innerhalb der Ukraine, r deren Schutz und Interessen Russland die Pflicht habe, einzutreten. Russland und die Ukraine unterscheiden sich aus dieser Perspektive nicht; sie erscheinen als ein Volk:

(7) Скажу прямо, у нас болит душа за всё, что происходит сейчас на Украине, что страдают люди, что они не знают, как жить сегодня и что будет завтра. И наша обеспокоенность понятна, ведь мы не просто близкие соседи, мы фактически, как я уже много раз говорил, один народ. Киев мать городов русских. Древняя Русь это наш общий исток, мы всё равно не сможем друг без друга. И скажу ещё об одном. На Украине живут и будут жить миллионы русских людей, русскоязычных граждан, и Россия всегда будет защищать их интересы политическими, дипломатическими, правовыми средствами. Однако прежде всего сама Украина должна быть заинтересована в том, чтобы права и интересы этих людей были гарантированы. В этом залог стабильности украинской государственности и территориальной целостности страны. (aus: Обращение Президента Российской Федерации, http://kremlin.ru/events/ president/news/20603)

Vor diesem Hintergrund inszeniert Putin die Krim-Annexion als eine humanitäre Intervention zum Schutz der Landsleute auf ukrainischem Territorium: Разумеется, мы не могли не откликнуться на эту просьбу, не могли оставить Крым и его жителей в беде, иначе это было бы просто предательством(ibid.). Den Machtwechsel in Kiev im Rahmen des Euromaidan am 22. Februar 2014 diskreditiert Putin als Putsch16, der die politischen, kulturellen und sprachlichen Rechte der russischen Landsleute auf der Krim und in der gesamten Ukraine bedrohe. Die neue Übergangsregierung bezeichnet er in seiner

16 Тем, кто сопротивлялся путчу, сразу начали грозить репрессиями и карательными операциями. И первым на очереди был, конечно, Крым, русскоязычный Крым. В связи с этим жители Крыма и Севастополя обратились к России с призывом защитить их права и саму жизнь, не допустить того, что происходилою(Putin am 18. März 2014).

Rede zwei Mal als Erben Banderas17, die als Faschisten mit Unterstützung des Westens einen Staatsstreich durchgeführt haben: Но уже всем стало предельно ясно, что именно намерены в дальнейшем делать украинские идейные наследники Бандеры приспешника Гитлера во время Второй мировой войны.[] Но он [Крым, M.G.] никогда не будет бандеровским!.

Diese Einschätzung Putins hat vor den realen politischen Verhältnissen in Kiev nach der Revolution des Jahres 2014 keinen Bestand: Weder bei den Präsidentschaftswahlen am 25. Mai 2014 noch bei den Parlamentswahlen am 26. Oktober 2014 konnten Rechtsaußen-Parteien, wie Svoboda oder der Rechte Sektor, nennenswert punkten. Bei den Präsidentschaftswahlen erhielt die Partei Svoboda gerade einmal 1,16% der Stimmen, und bei den Parlamentswahlen scheiterten beide rechte Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde (vgl. www.cvk.gov.ua).

Ein weiterer Versuch, die territoriale Integrität der Ukraine zu delegitimieren, die auf der Souveränisierung der Grenzen der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (ukr. URSR) fußt, stellt nach Putin die seiner Einschätzung nach ungesetzliche Schenkung der Krim im Jahre 1954 dar:

(8) После революции большевики по разным соображениям, пусть Бог им будет судья, включили в состав Украинской союзной республики значительные территории исторического юга России. Это было сделано без учёта национального состава жителей, и сегодня это современный юго-восток Украины. Ав 1954 году последовало решение о передаче в её состав и Крымской области, заодно передали и Севастополь, хотя он был тогда союзного подчинения. Инициатором был лично глава Коммунистической партии Советского Союза Хрущёв. Что им двигало стремление заручиться поддержкой украинской номенклатуры или загладить свою вину за организацию массовых репрессий на Украине в 30-е годы пусть с этим разбираются историки. Для нас важно другое: это решение было принято с очевидными нарушениями действовавших даже тогда конституционных норм. Вопрос решили кулуарно, междусобойчиком. Естественно, что в условиях тоталитарного государства у жителей Крыма и Севастополя ни о чём не спрашивали. Просто поставили перед фактом. У людей, конечно же, и тогда возникали вопросы, с чего это вдруг Крым оказался в составе Украины. Но по большому счёту нужно прямо об этом сказать, мы все это понимаем, по большому счёту это решение воспринималось как некая формальность, ведь территории передавались в рамках одной большой страны. Тогда просто невозможно было представить, что Украина и Россия могут быть не вместе, могут быть разными государствами. Но это произошло. (aus: Обращение Президента Российской Федерации, http://kremlin.ru/events/ president/news/20603)

17 Eine umfängliche und ausführliche Biographie Stepan Banderas legte Rossoliński-Liebe (2014) vor.

Nach Putins geschichtspolitischer Strategie war die Entscheidung im Jahre 1954, die OblastKrim der Ukraine zu übergeben, nicht konform mit zum damaligen Zeitpunkt geltenden verfassungsmäßigen Normen. Diese Argumentation birgt nach Jilge (2015: 3) erhebliche sicherheitspolitische Sprengkraft, zum einen weil dies auch andere postsowjetische Staaten betreffen kann und zum anderen, weil Putin die Unrechtmäßigkeit der Übergabe der Krim an die Ukraine aus der Grundlage der Verfassung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken herleitet, was bedeutet, dass spätere Vertragswerke so ihre Gültigkeit einbüßen. Aus welchen Erwägungen heraus Chruščev die OblastKrim an die Ukraine angegliederte, ist eine andere Frage ob der alleinige Grund in dem 300-jährigen Jubiläum des Vertrages von Perejaslav (1654) bestand, ist umstritten (vgl. Wydra 2008: 47). Wesentlich ist, dass Putin in (8) eine geschichtspolitische Debatte eröffnet, deren Funktion darin besteht, die territoriale Integrität der Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit zu delegitimieren und die Bedeutung konkreter, bindender völkerrechtlicher Verträge zwischen der Ukraine und Russland zu verschleiern: Das gilt z. B. r das Budapester Memorandum des Jahres 1994, in dem es im Artikel 1 heißt: The United States of America, the Russian Federation, and the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, reaffirm their commitment to Ukraine, in accordance with the principles of the CSCE Final Act, to respect the Independence and Sovereignty and the existing borders of Ukraine(Ukraine. Memorandum on Security Assurances).

5 Abschließende Bewertung und Ausblick: Wem gehört die Krim?

Die Analyse der Schlüsselrede Putins vom 18. März 2014 macht deutlich, dass diese Ansprache in hohem Maße geschichtspolitisch aufgeladen und vor allem nach innen, an das russische Volk, gerichtet ist. Dem außenpolitischen Druck auf Russland infolge der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim setzt Putin historische Legitimationen entgegen, die bei genauerem Hinsehen nicht den Realitäten entsprechen, sondern sie in erster Linie verschleiern. Auch das Hauptargument seiner Rede, die Krim sei mit der Situation im Kosovo vergleichbar, d. h. die Sezessionsbestrebungen im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts seien hierbei höher zu bewerten als das Recht auf territoriale Integrität, besticht nicht:

(9) Кроме того, крымские власти опирались и на известный косовский прецедент, прецедент, который наши западные партнёры создали сами, что называется, своими собственными руками, в ситуации, абсолютно аналогичной крымской,

признали отделение Косово от Сербии легитимным, доказывая всем, что никакого разрешения центральных властей страны для одностороннего объявления независимости не требуется. (aus: Обращение Президента Российской Федерации, http://kremlin.ru/events/ president/news/20603)

Zum einen wertete die UNO-Vollversammlung mit der Resolution 68/262 mit 100 zu 11 Stimmen bei 58 Enthaltungen im Falle der Krim das Recht auf territoriale Integrität höher als das Recht auf Selbstbestimmung, zumal das Referendum vom

16. März 2014 eindeutig gegen die ukrainische Verfassung verstößt, also unwirksam ist. Auch nach dem Referendum verblieb die Republik Krimim ukrainischen Staat; erst durch die Eingliederung in die Russische Föderation wurde nach Paech (2014: 4) die Sezession vollzogen und die territoriale Unversehrtheit der Ukraine verletzt. Darüber hinaus ist auch unstrittig, dass im Falle der Krim gegen das Gewaltverbot des Völkerrechts verstoßen worden ist, weshalb nach Art. 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention18 Verträge nichtig sind, die gegen ius cogens verstoßen (vgl. Luchterhandt 2014: 6).

Aber Putin geht es in seiner Rede nicht um juristische und völkerrechtliche Abwägungen und Diskurse auf diesem Feld hat die internationale Gemeinschaft ihr Urteil bereits gefällt. Putin geht es auch nicht um das Wohl der Krimbewohner. Schließlich bestand im Rahmen der Autonomen Republik Krim im Staatsverbund der Ukraine genug Raum r eine Neuausrichtung der ohnehin bereits zuerkannten politischen und kulturellen Schutzrechte der Krim-Bevölkerung. Eine Stärkung der Autonomie war also auch nicht im Interesse Putins. Vielmehr ging es ihm um die Sicherung des Einflusses Russlands in der Ukraine, um die Rückeroberung der mythisch und symbolisch aufgeladenen Halbinsel Krim r Russland und damit letztlich um die Legitimation seiner Präsidentschaft.

Wem die Krim gehört? Rechtlich ist sie wohl noch Teil der Ukraine, faktisch gehört sie nun aber zur Russischen Föderation. Dies wird sich auch in absehbarer Zukunft nicht ändern, denn eine zweite Schenkung an die Ukraine kann als ausgeschlossen gelten.

18 Im Art. 53 der Wiener Vertragsrechtkonvention heißt es: Verträge im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts (ius cogens) Ein Vertrag ist nichtig, wenn er im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht. Im Sinne dieses Übereinkommens ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann( http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19690099/201502240000/0 .111.pdf).

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