Getarnte
Lobby
Wie Wirtschaftsverbände die
öffentliche Meinung beeinflussen
SR, Dienstag, 30. August
2005
Ein Beitrag von Dietrich
Krauß
Lobbyarbeit ist in einer
Demokratie wichtig, damit Öffentlichkeit und Politik über das
Für und Wider der Argumente informiert sind und die richtigen
Entscheidungen treffen können. Anders sieht es aus, wenn
mächtige Verbände sich hinter scheinbar neutralen
Organisationen verstecken und mit viel Geld die öffentliche
Meinung in Ihrem subjektiven Sinne beeinflussen, ohne dass das
Publikum das erkennen kann.
Ein Beispiel
Blaubeuren in der
schwäbischen Provinz. Die Volksbank hat zur Generalversammlung
gerufen. Um die trockene Tagesordnung etwas aufzupeppen,
gibt’s zum Nachtisch noch eine Portion Politik. Der ehemalige
Haushaltsexperte der Grünen, Oswald Metzger. Ihm eilt der Ruf
eines Querdenkers voraus. Sein Thema: Vision D - wie
Deutschland aus der Krise kommt.
Oswald Metzger
verspricht den Zuhörern: „Ich werde Ihnen heute Abend
versuchen zu beweisen, dass auch ein Politiker in Zeiten vor
den Wahlen durchaus Klartext redet, auch wenn die Botschaften
nicht so angenehm sind.“
Unangenehm sind die
„Botschaften“ aber fast ausschließlich für Arbeitnehmer und
Rentner: länger arbeiten, weniger Rente, Gürtel enger
schnallen - vor allem für die kleinen Leute. Das Publikum
kennt die Litanei – wenn auch aus anderen Kreisen, wie eine
zufällige Umfrage vor Ort beweist:„Leider ist er für mich
in der falschen Partei.“ „Er macht eigentlich immer flotte
Sprüche, nur passt das nicht zu den Grünen.“
Oswald Metzger
Metzger firmiert zwar noch
als Grüner, hat aber kein Amt mehr inne und lebt inzwischen
als Publizist, Berater und politischer Vortragsreisender.
Anderen Verzicht zu predigen - dafür wird man offenbar
ziemlich gut bezahlt.
Oswald Metzger dazu: „Klar,
ich hab 'nen ordentlichen Honorarsatz für 'ne Veranstaltung.
Mein Normalsatz ist ein sehr ordentlicher, der fast einem
Durchschnittseinkommen von einem normalen Arbeitnehmer
entspricht.“ Pro Abend, versteht sich.
Was wohl
die wenigsten wissen: Metzger ist Mitglied in vielen
konservativen Netzwerken. Nicht zuletzt bei einem exklusiven
Club, der sich „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“
nennt. Auf deren Internet-Seite staunen wir nicht schlecht:
Metzgers Vortrag – „Vision D“ ist offenbar Teil einer großen
Kampagne dieser „Initiative“.
Die Initiative Neue
Soziale Marktwirtschaft
Die Geschäftleitung sitzt
in Köln - unter einem Dach mit dem Institut der Deutschen
Wirtschaft - also mit dem wissenschaftlichen „Kompetenzteam“
der Arbeitgeber. Kein Wunder: Es war der mächtige
Metallarbeitgeber-Chef Kannegießer persönlich, der die
Initiative vor fünf Jahren gründete. Aus Ärger.
Auslöser war eine repräsentative Umfrage. Danach stand
die Mehrzahl der Deutschen der Marktwirtschaft kritisch
gegenüber, wünschte sich auch in Zukunft einen starken
Sozialstaat.
Den Arbeitgebern standen die Haare zu
Berge. Sie beschlossen, das störrische Volk ins Visier zu
nehmen. Der Plan: eine systematische Umerziehung von oben -
durch PR. Denn da war sich der damalige Sprecher von
Gesamtmetall, Werner Riek, sicher: „Das muss man doch
vielleicht ändern können, dass das, was wir an notwendigen
Reformen erkennen, auch von den Mitbürgern als eine positive
Reform akzeptiert wird.“
Geld spielt keine
Rolle
Kurz: Das ganze Volk muss
auf Linie gebracht werden. Mit Geld, viel Geld. Fast 100 Mio.
Euro werden für zehn Jahre Meinungsmache investiert, über 30
Redakteure und Werbe-Profis der Agentur Scholz and Friends
engagiert. Sie erfinden die so genannte „Neue Soziale
Marktwirtschaft“ – gemeint ist natürlich: weniger soziale
Marktwirtschaft.
Drei Botschaften werden den Menschen immer wieder
eingebläut: Deutschland steht am Abgrund; Schuld sind der
Sozialstaat und seine bornierten Anhänger; Rettung bringen nur
harte Reformen nach dem Muster "Nehmt´s den Armen, gebt´s den
Reichen" - genau wie Robin Hood - nur anders herum.
Damit die Botschaft auch gehört wird, werden
zahlreiche Prominente verpflichtet. Wissenschaftler und
Sportler, aktive und ausrangierte Politgrößen aus allen
Lagern. Sie fungieren als Türoffner bei den Medien.
Medien machen
Meinung
Auf allen Kanälen sind die
„Botschafter“ Dauergäste in den Talkshows, manchmal sitzen
gleich drei in einer Sendung. Dort treten sie für SPD, Union,
FDP und Grüne auf - oder als unabhängige Experten. Tatsächlich
sind alle bei der gleichen Lobby im Boot – und fordern harte
Einschnitte, von denen sie selbst nie betroffen sind.
Durch diesen Etikettenschwindel wird die öffentliche
Diskussion manipuliert, sagt der Politologe Rudolf Speth. Er
hat sich in einer Studie für die Hans-Böckler-Stiftung
wissenschaftlich mit der Initiative auseinandergesetzt – und
mit ihrer Wirkung auf das Publikum.
Pivatdozent Dr.
Rudolf Speth, Politologe an der FU Berlin stellt fest:
„Wenn alle Botschafter der Initiative dasselbe sagen, dann
heißt das ja, oder dann bedeutet das ja: Das muss richtig
sein. Da kann gar nichts falsch liegen, wenn so ganz
unterschiedliche Leute dieselbe Idee vertreten. Das andere ist
aber, dass dadurch die Alternativen unsichtbar werden, denn es
gibt Alternativen, aber die werden dadurch faktisch
ausgeblendet oder nicht thematisiert. Also insofern hat die
Initiative die Strategie, Alternativen unsichtbar zu
machen.“
Zahlreiche Journalisten und Medien sind
inzwischen selbst Teil der Kampagne. Die Initiative liefert
auf Bestellung Daten, sie machen daraus einen Artikel oder
gleich eine ganze Doppelseite, wie in der „Welt“. Kernaussage:
50 Jahre Sozialpolitik – ein einziger Irrtum. Weg
damit!
Preisträger machen
Schlagzeilen
Besonders beliebtes Futter
für Journalisten sind Ranglisten, so genannte Rankings, in
denen Städte, Länder oder Politiker bewertet werden. Den
besten „Reformer des Jahres“ lobt die Initiative jährlich vor
einem erlesenen Publikum aus.
Immerhin:
Sozialdemokraten bekommen mal einen Trostpreis. Geehrt wird
man zum Beispiel für Aussagen, wie: „Weniger Geld für
Arbeitslose“ oder „Mehr Wettbewerb“ aber am liebsten: „Weniger
Steuern“.
Dass die rot-grüne Bundesregierung viele
Forderungen der Arbeitgeber umgesetzt hat, dass seitdem aber
nichts besser wurde, sondern die Krise noch tiefer, das ficht
den exklusiven Club nicht an.
Im Gegenteil: Inzwischen
scheint ein Arbeitgeber-Diplom fast Bedingung zu sein, um für
Wirtschafts- und Finanzpolitik überhaupt noch als
Kompetenz-Team-fähig zu gelten. So wie der radikale
Steuersenker Paul Kirchhof, zu dem die Bundesvorsitzende der
CDU, Angela Merkel, feststellt: „Er ist nicht von ungefähr
im Jahr 2003 auch zum „Reformer des Jahres“ von der Initiative
neue Soziale Marktwirtschaft ausgezeichnet
worden“.
Oder Peter Müller als Experte für
Wirtschaft und Arbeit. Angela Merkel: „Auch im Jahr 2003
ausgezeichnet zum Ministerpräsident des Jahres.“ Zwar
nur von Gnaden der Initiative. Aber Auszeichnung ist
Auszeichnung, und hinterher fragt niemand danach.
Wir
von [plusminus wollten es dann doch noch etwas genauer
wissen - von Oswald Metzger. Der wird zwar von der
Arbeitgeberlobby für Auftritte bezahlt, kann es aber gar nicht
leiden, wenn man ihn darauf anspricht und reagiert unwirsch:
Oswald Metzger: „Sind sie von Attac bezahlt? Ich will ihnen
nur spiegeln, was sie hier machen. Also, ich finde das schon
fast unverschämt.“
Dieser Text gibt
den Fernsehbeitrag vom 30.08.2005 wieder. Eventuelle spätere
Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.
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