Report Mainz vom 9. Dezember 2002
Erbschaftsjäger – wie Spendenorganisationen werben |
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Moderation
Bernhard Nellessen: Bericht: In einer Drehpause
kommt auch für die Schauspielerin Jutta Speidel zu Hause in München etwas
Weihnachtsstimmung auf. Die prominente Künstlerin hat auch sonst
ehrgeizige Ziele. Seit Jahren setzt sie sich für obdachlose Kinder und
deren Mütter ein. Dafür hat sie den Verein Horizont gegründet. In München
will sie ein großes Haus für Obdachlose Kinder bauen. 3,5 Mio € braucht
sie für dieses Projekt. Geld, das sie nicht hat. Deshalb sucht sie Spenden
und will sich auch künftig um Erbschaften kümmern. »Wir werden das ohne aufdringlich zu sein machen. In der Richtung, dass wir, ich weiß nicht genau wie, aber an Vereine oder an Ärzteschaften oder an Beerdigungsinstitute unseren Flyer hingeben mit einem kleinen Brief. Wie genau, weiß ich noch nicht. Wir fangen im Januar damit an und wir werden es sicherlich nicht aufdringlich machen, sondern angemessen der Sache.« Jutta Speidel könnte hier lernen, wie man an Erbschaften kommt. Auf dem Kongress der Fundraiser, also der professionellen Spendenbeschaffer; steht das sogenannte Erbschaftsmarketing ganz hoch im Kurs. Die Absolventen der Fundraising-Akademie werden ausgezeichnet. In ihren Kursen haben sie gelernt, dass sie sich frühzeitig um die Erbengeneration kümmern müssen. Ihr Ziel: Schon zu Lebzeiten sollen möglichst viele Menschen ihren letzten Willen dem sogenannten guten Zweck widmen. Viele Milliarden Euro werden in den nächste Jahren vererbt. Die meisten Organisationen wollen an diesem Geldsegen teilhaben, dafür bilden sie ihre Mitarbeiter aus. Sie lernen in solchen Spezialkursen, wie man potentielle Spender langfristig bindet. Damit am Ende auch tatsächlich im Testament das Richtige steht. O-Ton, Beraterin Erbschaftsmarketing: »Ein Vermächtnis ist im Grunde genommen der Endpunkt einer langen Spenderbeziehung. Also wenn ich meinen Spender vorher gut betreut habe, gepflegt habe, und er ist mir gegenüber wirklich loyal, dann ist, im Grunde genommen, das Vermächtnis der Schlusspunkt.« Wie binde ich einen Spender ein Leben lang an eine soziale Organisation? Die Teilnehmer lernen in diesen Kursen, wie man an ein Legat, also ein Vermächtnis herankommt. O-Ton, Hans-Josef Hönig, Naturschutzbund: »Hier ist der gesamte Lebenszyklus eines Förderers abgebildet. Uns kommt es darauf an, dass die Legatwerbung keine schnelle Sache ist. Wenn jemand auf sie zukommt und sagt, möchtest du mich heiraten, werden die wenigsten Damen ad-hoc ja sagen, es sie denn, es wäre Liebe auf den ersten Blick. Und genauso verhält es sich mit der Legatwerbung. Man kann nicht jemand anschreiben und sagen, gibst du mir ein Legat. Sondern es entwickelt sich aus einer vertrauensvollen Beziehung, die jemand zu seinem Förderer aufgebaut hat. « In solchen
Spezialkursen trainieren die Spendensammler von Caritas bis zum Roten
Kreuz, wie sie möglichst schnell ans Ziel, also an Erbschaften kommen.
Ulrike Maas präsentiert viele Tipps. Ihre Tricks klingen wie Anweisungen,
die Profivertriebe oder Drückerkolonnen in der Finanzbranche
verwenden. »Wir haben jetzt auch angefangen in jedem Mailing ganz dezent den Satz einzublenden: Mit Ihrem Testament bewahren Sie unseren Lebensraum. Dass auch immer wieder kommuniziert wird in unseren verschiedenen Medien. Ähnlich ist es bei den Patenschaften, ähnlich ist es beim Club. Also die Paten, kommen wir gleich, wie gesagt, noch dazu, erhalten zweimal im Jahr die Patenpost. Auch da fangen wir jetzt an, auf dieses Thema Erbschaften immer wieder darauf hinzuweisen. Auch da wirklich so schon zu verschiedenen Zeiten des Lebenszyklus mit diesem Thema einsteigen. Nicht erst, wenn der Kandidat 65 ist oder älter. Also immer wieder: Ich muss binden, binden. Ich muss schauen, dass mir keiner abspringt.« In ihren internen Strategiepapieren. Werden die Erbschaftsjäger noch deutlicher. So spricht der Naturschutzbund davon wie die Spender Zitat „von der Wiege bis zur Bahre“ betreut werden sollten. Die Ziele und Methoden sind präzise kalkuliert. Es geht allein um die Maximierung der Testamentspenden. Die Spender unterliegen einer Abschöpfungsstrategie bis sie zu Cash-Cows erzogen worden sind, also finanziell abgemolken werden können. Wir treffen Karlheinz Böhm, seit 21 Jahren betreibt der frühere Star der Sissi-Filme mit seiner Organisation „Menschen für Menschen“ Hilfsprojekte in Äthiopien. Jedes Jahr sammelt er rund sieben Millionen Euro und bekommt auch Erbschaften. O-Ton, Karlheinz Böhm, Vorsitzender „Menschen für Menschen“: »Wenn dann die Frage kommt, was kann ich denn tun. Dann ist es natürlich ein wunderbarer Gedanke, dass ein alternder Mensch weiß, wenn er eines Tages weggeht, und das müssen wir alle einmal, dass er sagt, mein Vermögen, oder das, was ich über hab’, das geht nicht irgendwo, ich weiß nicht wohin, sondern es geht zu Menschen hin, wo ich weiß, dass sie es bitter nötig haben.« Frage: Das heißt, Sie sind einverstanden, dass Erbschaften auch als Spende gemacht werden, aber Sie lehnen es ab, dass dafür offensiv geworben wird. O-Ton, Karlheinz Böhm, Vorsitzender „Menschen für Menschen“: »Wenn Sie das „offensiv geworben“ sagen, da bin ich hundertprozentig Ihrer Meinung, das lehne ich ab. Das finde ich nicht richtig. « Mit dem Erbschaftsmarketing, hat sich der Theologe Ralf Gremmel beschäftigt. Für eine aktuelle Studie wertete er den gesamten Erbschaftsmarkt aus. Seine Feststellung: In der Branche gibt es unakzeptable Auswüchse. O-Ton, Ralf Gremmel, Experte Erbschaftsmarketing: »... gibt es aggressive Werbung. Die Missachtung der Zweckbindung, die mangelnde Zurückhaltung in der Ausgestaltung eines Testaments, den Aufbau einer Druckstrategie, z. B. „Ihr Enkel hat Sie doch seit 10 Jahren nicht mehr besucht. Meinen Sie wirklich, dass er ihre Erbschaft erhalten soll?“ Das meine ich mit Aufbau einer Druckstrategie.« Selbst den Experten
geht in der Praxis des Erbschaftsmarketings inzwischen vieles zu weit.
Intern spricht man schon einmal Klartext. »Was dann schon mal fällt, ist das Wort Leichenfledderei. Oder eben auch dass dann manche Organisationen Angst haben, einen Keil in eine Familie reinzutreiben, dass es dann Erbstreitigkeiten gibt. Oder so: Wie kannst du einer gemeinnützigen Organisation was hinterlassen und warum nicht uns?« Fazit: Menschen mit Vermögen geraten immer stärker ins Visier der Erbschaftsjäger. Von Brot für die Welt, Caritas, BUND oder Greenpeace und vielen anderen. Alle verfolgen einen guten Zweck, aber gehen oft zu weit, wenn alte Mensche über Jahre unter Druck gesetzt werden, ihr Erbe zu vermachen. Denn auch hier gilt, ein guter Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel. Abmoderation Bernhard Nellessen: Das war die letzte Ausgabe von REPORT Mainz in diesem Jahr. Wir danken Ihnen für Ihr Interesse und die vielen Anregungen, die sie uns geschrieben, gefaxt oder gemailt haben. Wir sehen uns am 13. Januar wieder. Jetzt geht es hier
weiter mit der vierten und letzten Folge von „Schwarzwaldhaus 1902“. Auch
bei Familie Boro wird es langsam Winter.Noch eine schönen Fernsehabend
hier im Ersten. Machen Sie es gut. Links: |
Moderation: Bernhard Nellessen |
Bericht: Thomas Leif |
Kamera: Olaf Kreiß Frank Reimann Christian Saal |
Schnitt: Holger Höbermann Platon P. Kiriazidis | ||
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