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13.03.2005 | 23:00

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Deutschlands Justiz am Pranger:
Staranwalt Rolf Bossi über Selbstherrlichkeit und Willkür deutscher Richter

(Autor: Joachim Gaertner)
Deutschlands Justiz am Pranger: Staranwalt Rolf Bossi über Selbstherrlichkeit und Willkür deutscher Richter © BR
Deutschlands Justiz am Pranger: Staranwalt Rolf Bossi über Selbstherrlichkeit und Willkür deutscher Richter © BR
Deutschlands Justiz am Pranger: Staranwalt Rolf Bossi über Selbstherrlichkeit und Willkür deutscher Richter © BR

Ein Verteidiger klagt an. Staranwalt Rolf Bossi erhebt schwere Vorwürfe gegen die deutsche Justiz. Selbstherrlichkeit von Richtern, Willkür und skandalöse Fehlurteile höhlen den deutschen Rechtsstaat aus, schreibt Bossi in seinem provozierenden Buch "Halbgötter in Schwarz". Jeder kann heute zum Opfer einer Justiz werden, die sich einer wirksamen Kontrolle konsequent entzieht. Nur mit mehr Kontrolle ließen sich die schlimmen Missstände beheben.

"Es gibt verfassungsmäßig einen Gleichheitsgrundsatz", sagt Rolf Bossi. "Aber wir haben in unserer Justiz jetzt einen Zustand, in dem dieser Gleichheitsgrundsatz in elementarster, schwerwiegendster Weise verletzt wird."

Rolf Bossi liebt das Scheinwerferlicht. Und er beherrscht die Provokation. Wann immer Prominente wie Romy Schneider, Ingrid van Bergen oder Vico Torriani vor Gericht standen, war Bossi dabei. Er verteidigte Kindermörder, Triebtäter und Neonazis. Die spektakulärsten Mordprozesse waren immer schon seine Bühne.

Aber Bossi hat in den über 50 Jahren seiner Karriere auch Justizgeschichte geschrieben. Seit es ihm 1971 gelang, dass ein offensichtliches Fehlurteil gegen den Kindermörder Jürgen Bartsch in der Berufung aufgehoben wurde, gilt für Triebtäter der Grundsatz Therapie statt Strafe. Heute wäre eine solche Urteilskorrektur gar nicht mehr möglich. Bei Schwurgerichten gibt es keine Berufung mehr, nicht einmal ein wörtliches Protokoll der Verhandlung, an dem man ein Urteil überprüfen kann.

Das Register der Missstände, die Bossi in seinem Buch abhandelt, ist lang. Bossi prangert versagende Dienstaufsicht bei der Staatsanwaltschaft an. Er zeigt auf, welche Konsequenzen die fehlende Berufungsinstanz im Kapitalstrafverfahren hat. Bossi führt Beispiele von Justizkumpanei, Abschreckungsurteilen und die fast unüberwindlichen Hürden bei der Wiederaufnahme von Verfahren an.

Jeder Richter kann sich hinter einem rein formal stimmigen Urteil verschanzen, ohne dass er Angst haben muss, überprüft zu werden. Dass es zu wenig effektive Kontrollmöglichkeiten in der deutschen Justizordnung gibt, sehen auch viele Richter so. "Bossis Buch kommt genau zur rechten Zeit", bestätigt etwa der Richter Thomas Melzer. "Die Justizministerkonferenz arbeitet ja gerade an ihrer großen Strukturreform."

Viele Richter, so Bossi, unterschlagen Beweise, lassen Widersprüche einfach weg, verdrehen Aussagen, nur um ein Urteil formaljuristisch unanfechtbar zu machen. Dagegen gibt es kaum eine Handhabe. Und das führt bei manchen Richtern zu einer Art Allmachtsgefühl. "Richter sind von Berufswegen immer im Recht", weist Thomas Melzer auf die Gefahr professioneller Deformation hin, die sein Berufsstand mit sich bringt. "Dieses Bewusstsein schleicht sich bei vielen Richtern ein."

Rolf Bossi geht noch einen Schritt weiter. Er führt die unkontrollierte Macht deutscher Richter darauf zurück, dass die schrecklichen Hetzurteile der Nazi-Richter nach dem Krieg nie gesühnt wurden. Wenn nicht einmal die Todesurteile des Volksgerichtshofs unter Roland Freisler als Rechtsbeugung geahndet wurden, wie sollen dann heute vergleichsweise harmlose Fehlurteile verfolgt werden? Eine fatale Kontinuität.

 

"Die Justiz ist strukturell gar nicht dafür geschaffen und auch nicht willens in eigener Sache Recht zu sprechen", sagt Bossi. Und bald könnte alles sogar noch schwieriger werden. Eine große und in vielen Bereichen äußerst sinnvolle Justizreform steht an. Allerdings wollen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und ihre Kollegen aus den Ländern bei der Reform die Berufungsmöglichkeiten vor Gericht noch weiter einschränken - um Kosten zu sparen. Damit aber, so befürchtet Rolf Bossi, könnte richterlicher Willkür Tür und Tor geöffnet werden.

Die große Mehrheit der deutschen Richter urteilt nach bestem Wissen und Gewissen. Aber jedes einzelne Fehlurteil zerstört eine Existenz. Und es untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat. Die Fälle von Willkür und Kumpanei, die Bossi aus seiner fünfzigjährigen Erfahrung im Gerichtssaal beschreibt, lassen jeden, der noch an die Unbescholtenheit deutscher Richter glaubt, erschrecken.

 
 
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