Ein Verteidiger klagt an. Staranwalt Rolf Bossi
erhebt schwere Vorwürfe gegen die deutsche Justiz.
Selbstherrlichkeit von Richtern, Willkür und skandalöse
Fehlurteile höhlen den deutschen Rechtsstaat aus,
schreibt Bossi in seinem provozierenden Buch "Halbgötter
in Schwarz". Jeder kann heute zum Opfer einer Justiz
werden, die sich einer wirksamen Kontrolle konsequent
entzieht. Nur mit mehr Kontrolle ließen sich die
schlimmen Missstände beheben.
"Es gibt verfassungsmäßig einen
Gleichheitsgrundsatz", sagt Rolf Bossi. "Aber wir haben
in unserer Justiz jetzt einen Zustand, in dem dieser
Gleichheitsgrundsatz in elementarster, schwerwiegendster
Weise verletzt wird."
Rolf Bossi liebt das Scheinwerferlicht. Und er
beherrscht die Provokation. Wann immer Prominente wie
Romy Schneider, Ingrid van Bergen oder Vico Torriani vor
Gericht standen, war Bossi dabei. Er verteidigte
Kindermörder, Triebtäter und Neonazis. Die
spektakulärsten Mordprozesse waren immer schon seine
Bühne.
Aber Bossi hat in den über 50 Jahren seiner Karriere
auch Justizgeschichte geschrieben. Seit es ihm 1971
gelang, dass ein offensichtliches Fehlurteil gegen den
Kindermörder Jürgen Bartsch in der Berufung aufgehoben
wurde, gilt für Triebtäter der Grundsatz Therapie statt
Strafe. Heute wäre eine solche Urteilskorrektur gar
nicht mehr möglich. Bei Schwurgerichten gibt es keine
Berufung mehr, nicht einmal ein wörtliches Protokoll der
Verhandlung, an dem man ein Urteil überprüfen kann.
Das Register der Missstände, die Bossi in seinem Buch
abhandelt, ist lang. Bossi prangert versagende
Dienstaufsicht bei der Staatsanwaltschaft an. Er zeigt
auf, welche Konsequenzen die fehlende Berufungsinstanz
im Kapitalstrafverfahren hat. Bossi führt Beispiele von
Justizkumpanei, Abschreckungsurteilen und die fast
unüberwindlichen Hürden bei der Wiederaufnahme von
Verfahren an.
Jeder Richter kann sich hinter einem rein formal
stimmigen Urteil verschanzen, ohne dass er Angst haben
muss, überprüft zu werden. Dass es zu wenig effektive
Kontrollmöglichkeiten in der deutschen Justizordnung
gibt, sehen auch viele Richter so. "Bossis Buch kommt
genau zur rechten Zeit", bestätigt etwa der Richter
Thomas Melzer. "Die Justizministerkonferenz arbeitet ja
gerade an ihrer großen Strukturreform."
Viele Richter, so Bossi, unterschlagen Beweise,
lassen Widersprüche einfach weg, verdrehen Aussagen, nur
um ein Urteil formaljuristisch unanfechtbar zu machen.
Dagegen gibt es kaum eine Handhabe. Und das führt bei
manchen Richtern zu einer Art Allmachtsgefühl. "Richter
sind von Berufswegen immer im Recht", weist Thomas
Melzer auf die Gefahr professioneller Deformation hin,
die sein Berufsstand mit sich bringt. "Dieses
Bewusstsein schleicht sich bei vielen Richtern ein."
Rolf Bossi geht noch einen Schritt weiter. Er führt
die unkontrollierte Macht deutscher Richter darauf
zurück, dass die schrecklichen Hetzurteile der
Nazi-Richter nach dem Krieg nie gesühnt wurden. Wenn
nicht einmal die Todesurteile des Volksgerichtshofs
unter Roland Freisler als Rechtsbeugung geahndet wurden,
wie sollen dann heute vergleichsweise harmlose
Fehlurteile verfolgt werden? Eine fatale Kontinuität.
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